Lange Jahre war ich in einer Partei. Ich war in ihr, als es noch verpönt war in der Kirche, sich politisch zu engagieren. Auch damals war ich in meiner politischen Tätigkeit bewusst als Christ erkennbar und als solcher geachtet.
Nach der Wende habe ich geholfen unsere Demokratie mit aufzubauen. Auf kleiner Ebene, aber auch da ist es wichtig.
Doch dann erlebte ich all das, was hier angesprochen wird: Ellenbogenkämpfe, Postengeschacher, Werteverlust, Eitelkeit einiger und den Unwillen, die Basis zu hören.
So habe ich die Partei verlassen. Wie andere auch.
Seither frage ich mich, welche Partei wirklich "anders" ist.
Ich frage mich aber auch, ob wir als Kirche hören, was die Basis sagt. Es mag sein, dass wir dort, wo die Basis nah ist, noch etwas mitbekommen. Gemeindearbeit ist ohne die Rückkopplung zur Basis nicht möglich.
Aber manchmal denke ich, dass, je höher eine Institution ist, desto weniger Impulse überhaupt ankommen.
Noch eines sollten wir nicht vergessen und das ist durchaus ein Punkt, der an der Basis oft nicht verstanden wird: Je höher eine Institution ist, desto mehr Verantwortung trägt sie für eine weitaus breitere Basis. Das verlangt oft Kompromisse, die man vor Ort nie eingehen würde, die aber um des Zusammenhaltes der breiteren Basis, notwendig sind. Das allen, die davon betroffen sind, deutlich zu machen ist oft wie die Quadratur des Kreises.
Etwas, was ich auf der kleinen poitischen Bühne lernen durfte und was auch für uns als Kirche zutrifft.
Gert Flessing
Schwestern im Schrumpfen
Parteien und Kirchen teilen ein Schicksal: Sie schrumpfen. Doch sie könnten etwas dagegen tun – die Gesellschaft braucht sie. Nicht nur zur Landtagswahl am Sonntag.Eine Rätselfrage vorab: Seit 1990 hat sie deutschlandweit über 40 Prozent ihrer Mitglieder verloren, immer mehr Menschen halten sie für verzichtbar und leben ihr Anliegen lieber außerhalb der Organisation – geht es um eine der Parteien? Oder um die Kirche? Es geht um beide, im Schwinden sind sie sich zum Verwechseln ähnlich.
Den sächsischen Parteien kamen seit der Wiedervereinigung gar über 100 000 ihrer einst mehr als 133 000 Anhänger abhanden. Hart traf es besonders die Stützen der DDR-Diktatur »Die Linke«, CDU und Liberale, während die neu gegründeten Grünen sowie in letzter Zeit Piratenpartei und Alternative für Deutschland wachsen – wenngleich auf niedrigem Niveau. Und auch das gleicht sich: Bei Kirche und Parteien dominieren die Älteren, bei beiden dominiert die bürgerliche Mittelschicht. Jung oder Arm muss man in ihnen länger suchen.
Es ist ein Symptom einer satten Ich-AG-Gesellschaft. Wenn alles geht, alles möglich ist, engt eine Bindung nur ein – egal ob an eine Partei, einen Partner fürs Leben, eine Kirche oder eine Zeitung. Glauben oder politisch sein kann man auch so. Und wenn der Ich-AG-Mensch doch eine Bindung erwägt, legt er sie auf die Waage und taxiert den Nutzen. Sind schnelle Erfolge zu erwarten, macht es Spaß – und was bringt es mir?
Solche Fragen stellen sich Menschen heute auch vor einem Parteieintritt, haben Politikwissenschaftler herausgefunden. Für politisch aktive Menschen haben sich immer mehr und immer attraktivere Möglichkeiten entwickelt, sich zu engagieren, so der renommierte Parteienforscher Oskar Niedermayer: in Bürgerinitiativen, Umweltgruppen und soziale Bewegungen – oder mit einer Internet-Petition.
Als die Politikprofessoren Ulrich von Alemann und Markus Klein 9400 Mitglieder der großen Parteien befragten, stellten sie etwas fest, das auch die evangelische Kirche jüngst herausfand: Die Zahl der Mitglieder geht zwar zurück, doch der Anteil der besonders Engagierten steigt. Und gerade die Jungen unter den Parteimitgliedern achten stärker auf ihren persönlichen Vorteil. Das kann ein konkretes Ziel sein – oder die Aussicht auf ein attraktives Mandat. Dass man nur zu einer Partei gehört, weil es im eigenen Milieu oder in einer Demokratie einfach dazugehört, das ist Vergangenheit. Die Kirchen wissen ein Lied davon zu singen.
Also fröhlich kleiner werden bis zum harten Kern? Weder Parteien noch Kirche können das wollen. Sie müssen sich den harten Fragen stellen. Der Unzufriedenheit vieler langgedienter Parteimitglieder über mangelnde Mitbestimmung, wie sie die Politikwissenschaftler um Ulrich von Alemann aufzeigen. Dem Frust über Ellenbogenkämpfe, Eitelkeiten und Postengeschacher. Den Enttäuschungen über Hartz IV, über das Herausdrängen konservativer Werte oder über Kriegseinsätze. Im Kern geht es dabei oft um die eine Frage: Werde ich ernstgenommen mit meinen Sorgen und Ideen, die vielleicht ganz anders sind als die des Establishments? Viele finden offenbar: nein.
Die Parteien sollten durchlässiger werden, fordert deshalb der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer: für Nicht-Mitglieder, die gern mitdiskutieren und -entscheiden möchten. Einladend auch für Menschen, die sich zeitlich begrenzt für bestimmte Ziele engagieren wollen – und nicht nur als Stimmvieh. Auch für die Kirchen könnte das ein brauchbarer Ratschlag sei.
Denn eine Gesellschaft aus 80 Millionen Ich-AGs funktioniert nicht. Auch eine Gesellschaft ohne Widersprüche, ohne Diskussion und ohne Alternativen funktioniert nicht. Kein Mensch ist eine Insel, weder im Glauben noch als Demokrat. Er braucht den Austausch, die Solidarität, die Reibung. Deshalb gibt es Parteien. Und Kirchen.
Hallo Herr Flessing,
in Teilen stimme ich Ihnen zu man muss in einem größeren Rahmen offenbar andere Kompromisse eingehen als in einer kleinen Gruppe. Sicher gibt es Vergleichbarkeiten zwischen der Führung in der Kirche und in der Führung von politischen Parteien. Jedoch bin ich überzeugt, dass die Kirchen eine klare unverrückbare über die Jahrhunderte wiedererkennbare einheitliche Botschaft hat. Diese kann in Facetten verschieden ausgelegt werden jedoch nicht inhaltlich verdreht werden. Ich vermute ein Leiden der Kirche ist genau das. Ich bin davon überzeugt, dass eine Kirche wachsen kann genau auch in dieser Zeit und in diesen Umständen – wenn wir (auch ich) auf die Knie fallen und unsere Sünden bekennen. Unsere Kirche ist mehr als ein Verwaltungsclub. Wir können Gottes handeln erwarten. Unsere Gesellschaft scheint an zunehmend mangelnder Verbindlichkeit zu leiden und noch etwas ändert sich gerade grundsätzlich die Frage nach „gut“ oder „böse“ wird ausgetauscht in „bringt mir das was“ oder „bringt mir das nichts“. Leider untermauert besonders die evangelische Kirche den zweiten Punkt in dem Sie Gott gegebene Grenzen vorsätzlich auflöst. Wenn die Lehre der Kirche keine Konkreten Aussagen machen kann ist die logische Konsequenz das auch die Schäfchen blind und desorientiert werden.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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