Allen einen wunderschönen 1.Advent!
Lutz Schuster
Freue Dich, Schmerzensmutter
Noch vor Jesu Geburt steht der Segen für seine Mutter Maria – doch das bewahrt sie nicht davor, den Tod ihres Sohnes zu erleben. Ist der Segen mehr als ein frommes Wünsch-Dir-Was?Am Anfang von Gottes Ankunft in der Welt der Menschen, am Anfang allen Advents, steht ein Segen. Marias Verwandte Elisabeth war die erste, die es mit Hilfe des Heiligen Geistes jubelnd aussprach: Die schwangere Maria und ihr noch ungeborenes Kind sind von Gott gesegnet. Der Segen Gottes, was für eine Verheißung. Was für ein Versprechen.
Es wirkt auch heute. Etwa wenn Michael Leonhardi sich die Stola um den Hals legt und auf die Geburtsstation des Dresdner Universitätsklinikums eilt, um dort ein Neugeborenes zu segnen. Immer wieder rufen Eltern den Klinikseelsorger dafür. Nicht selten sagen Patienten auch vor einer Operation oder nach einer schweren Diagnose zu ihm: »Ich bin zwar nicht in der Kirche, aber machen sie mal.« Also segnet Leonhardi. Die Menschen glauben, dass der Segen etwas bewirkt, weil er etwas bewirken soll. Das, was sie sich erhoffen.
Der Segen als frommes Wünsch-Dir-Was? Ursprünglich war er das in gewisser Weise tatsächlich. Jakob erschlich sich den Segen seines Vaters Isaak, der ihm Reichtum und Macht versprach (1. Mose 27) – und rang sogar mit Gott, um ihm den Segen abzutrotzen (1. Mose 32). Zwar kam der Segen von Gott, doch wurde er von Menschen gelenkt. Dieser Segen, der in den ältesten Texten des Alten Testaments wurzelt, hat etwas Magisches. Und zutiefst Menschliches. Auch heute segnen Christen, weil sie es gut meinen mit einem Menschen – mitunter auch mit einem Feuerwehrauto oder einer Flughafenstartbahn. Der Segen mit aufgelegten Händen berührt die Menschen, ganz körperlich. »Doch wir haben den Segen nicht im Griff«, sagt der Lichtensteiner Seelsorger Roland Kutsche, der als Pfarrer für missionarischen Gemeindeaufbau in den Kirchenbezirken Marienberg und Glauchau-Rochlitz arbeitet.
Wenn fromme Menschen genau zu wissen scheinen, auf welchem Menschen, welcher Lebensweise und welchem Vorhaben Segen liegt und wo nicht – da sieht der Theologe die Gefahr des Missbrauchs. »Ich wäre da sehr vorsichtig.« Zu leicht kann es passieren, damit Gott für die eigenen Ziele und Sichtweisen zu vereinnahmen. »Im Segen kommt am deutlichsten zum Ausdruck, dass Gott nicht irgendwelche Bedingungen, fromm zu sein oder zu glauben, für seine Liebe braucht.«
Wahrscheinlich ist das der Grund, warum Jesus ausgerechnet die Kinder segnete (Markus 10,13) – es ist die einzige Stelle, an der die Bibel von einem Segen des irdischen Gottessohnes berichtet.
Schreibt der Apostel Paulus von der Weitergabe des Segens durch Menschen, dann meint er kein frommes Ritual. Er meint ganz konkrete Taten: eine Geldsammlung für die notleidenden Glaubensgeschwister in Jerusalem etwa (2. Korinther 9,5) – ja sogar Hilfe für die Feinde (Römer 12,14).
Der Krankenhausseelsorger Michael Leonhardi kommt von einem Tumorpatienten, der Mann liegt auf der Intensivstation im Koma. An seinem Krankenbett hat der Pfarrer ein Lied gesungen, ein Vaterunser gebetet, ihn gesegnet. Die Angehörigen wollten es, unbedingt. Die Ärzte blicken auf die Lebenskurven auf dem Bildschirm und haben kaum mehr Hoffnung.
Wirkt der Segen nicht? Die Geschichte vom Gesegneten Hiob im Alten Testament stellt die Frage in aller Schärfe. Gott nahm ihm Besitz, Kinder, Gesundheit. Das gesegnete Volk Israel wurde von Großmächten unterworfen. Marias gesegneter Sohn stirbt am Kreuz – grausam, die Auferstehung macht es nicht ungeschehen.
»Inmitten all der intensivmedizinischen Apparate bedeutet der Segen, Platz für Gott zu machen«, sagt der Klinikseelsorger Leonhardi. »Er hat eine Wucht, die spüre ich selbst. Er kostet auch Mut.« Den Mut, inmitten des Leides Gott zu vertrauen. Den Mut des Anfangs, des Advents.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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