Wie hältst du’s mit der Religion?
Nichtchristen und Christen diskutierten mit Innenminister Thomas de Maizière in LeipzigDass ausgerechnet die Gretchenfrage aus Goethes Faust Thema des Leipziger Bürgerdialogs war, passte schon mal. Rund 150 Personen nutzten so die Einladung des Bundesministers des Innern zum Thema »Wie hältst du’s mit der Religion? Glaube – Kitt oder Keil unserer Gesellschaft?«
Leipzig war der zweite Ort nach Köln, wo Bürger im Rahmen einer Werkstatt offen mit dem Innenminister und Podiumsgästen über aktuelle gesellschaftliche Fragen diskutieren konnten. Jeder durfte sich dafür anmelden. Alle Veranstaltungen gehen der Frage nach: Wie lassen sich gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration verbessern und stärken? In Köln war es nach den Übergriffen in der Silvesternacht 2015 um Migration und Integration gegangen. In Leipzig stand nun das Thema Religion im Mittelpunkt.
Gleich zu Beginn beantwortete Thomas de Maizière auch die Frage, warum er ausgerechnet nach Leipzig gekommen ist. Weil 82 Prozent der Menschen hier konfessionslos seien und die Stadt dennoch eine große christliche Tradition habe: »Da muss man nur mal zur Thomaskirche gehen.« Die Menschen fühlten sich verbunden mit ihren Kirchen, auch wenn viele keine Kirchenmitglieder seien. Gehe es um den Erhalt einer Kirche auf dem Dorf, engagierten sich alle gemeinsam, so der Minister.
Obwohl die Bindung zu Religion abgenommen habe, sind die Vorbehalte gegen den Islam groß. »Woher kommt diese Angst?«, fragt der Minister. Ihm gehe es darum, mit den Leipzigern zu überlegen, wie die versöhnende Kraft von Religionen genutzt und die spaltende Kraft eingedämmt werden könne. Die Podiumsgäste sprachen über die Bedeutung ihrer Religion in ihrem Alltag: Die Berliner Rabbinerin Gesa Ederberg, die katholische Theologin Dagmar Mensink, die Islamwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi und der Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Frieder Otto Wolf.
Dann kamen die Leipziger zu Wort – an runden Tischen diskutierten sie über ihre Erfahrungen mit Religion. Privates und Politisches vermischten sich: Ein junger Mann erzählte, wie er erst vor wenigen Jahren zum Glauben gefunden hat. Eine junge Muslimin mit Kopftuch beschreibt, wie sie von ihrer Umwelt wahrgenommen wird. Ein Rentner aus Leipzig-Grünau fragt seine Tischnachbarn: »Kann ich christlich handeln, ohne Christ zu sein?« Eine Leipzigerin, die aus dem Rheinland stammt, findet, dass in der DDR die Möglichkeit fehlte, andere Glaubensrichtungen kennenzulernen. Die meisten Menschen seien hier Atheisten.
Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob Religion eine private Angelegenheit sei und im öffentlichen Raum etwas zu suchen habe. »Mir begegneten hier starke Vorbehalte gegenüber Religion im öffentlichen Raum – es ginge uns besser, wenn es Religion nicht gäbe. Menschen sagten: Schau dir die Geschichte an, schau dir den Islam an – das wollen wir nicht«, erzählt Christian Wolff, Pfarrer im Ruhestand.
Die öffentliche Präsenz von Religion sei wichtig, entgegnet Frieder Otto Wolf vom Humanistenverband. »Das gesellschaftliche Engagement ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Gemeinwesens. Das ist positiv.« Reinhard Bohse, früherer Leipziger Rathaussprecher, ergänzt: »Ich halte den Diskurs über Religion für wichtig. Man muss am Ende nicht einer Meinung sein, aber Verständnis füreinander aufbringen. Sonst fliegt uns alles auseinander.«
Religion – eher Kitt oder Keil? Die Meinungen gingen auseinander. Weder Kitt noch Keil, sagte die Katholikin Dagmar Mensink. Die Auseinandersetzung sei eine Herausforderung und das wichtigste Thema bleibe die Bildung. »Wir wissen zu wenig über andere Religionen«, bestätigt der frühere Zoo-Chef Peter Müller. »Über Muslime ist uns zu wenig bekannt.«
Fotos: Armin Kühne
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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