"Vielerorts begegnet er vor allem einem Phänomen: dem Absterben der Dörfer und kleineren Städte."
Ist doch ganz einfach, da werden einfach überall Urkunden "Unser Dorf hat Zukunft!" aufgehängt!
Zerbröselnde Heimat
Der Journalist Jörn Klare erhält für sein berührendes Heimatbuch »Nach Hause gehen« den Evangelischen Buchpreis 2017Heimat – schnell wird es bei diesem Thema entweder kitschig oder schwülstig oder kämpferisch. Von keinem dieser drei Fallstricke lässt sich aber der Journalist Jörn Klare in seinem Buch »Nach Hause gehen. Eine Heimatsuche« zu Fall bringen. Darin beschreibt der 1965 geborene Journalist und Autor seine 31-tägige Wanderung von Berlin in seinen sauerländischen Geburtsort Hohenlimburg. Dieser 600-kilometerlange Heimweg erweist sich als eine wunderbare Meditation zum Thema Heimat in Zeiten der Entwurzelung und Globalisierung.
Klare brach von seinem Wohnort Berlin auf, weil er sich dort auch nach drei Jahrzehnten nicht richtig heimisch fühlt. Und er dennoch diese Stadt zeitlebens als Versprechen und als Befreiung empfunden hat. Er fragt sich ganz persönlich: Was ist Heimat? Und es ist im Grunde die Suche nach dem richtigen Leben, den richtigen Prioritäten und die Frage, ob das an einen Ort gebunden ist.
Unterwegs begegnet er vielen Landschaften, Städtchen und Menschen – vielen Wegen und Versuchen, an einem bestimmten Ort glücklich zu sein. Die erste Hälfte der Tour führt ihn durch Ostdeutschland – ein für ihn immer noch fremder Landesteil. Erschrocken ist er über verödete ostdeutsche Innenstädte, wie die von Calbe. »Die Stadt sieht wie verprügelt aus«, notiert er. Der Wegzug der Jugend, die gebrochenen Lebensläufe, der Verlust von Bleibendem prägt das Leben im Osten. Jörn Klare widersteht aber jeder »Ostalgie«. »Die DDR, denke ich, ist eine Geschichte mit vielen Wahrheiten.«
Ebenso widersteht er jeder »Westalgie«. Obgleich er sich hier heimischer fühlt, ist er doch auch ernüchtert über die Spießigkeit vieler Ortschaften. In Bad Harzburg findet er »das lebende Klischee eines alten, satten Westdeutschlands«.
Vielerorts begegnet er vor allem einem Phänomen: dem Absterben der Dörfer und kleineren Städte. Immer wieder ergibt sich dieses Bild: Discounter in Zweckbauten an den Rändern der Städte »ziehen Menschen und Geld an und schaffen Leere, wo eine gelebte Mitte war«. Klare wird Zeuge von »amazonisierten Fußgängerzonen«, von einer »Heimat, die verödet« und fragt sich: »Vielleicht müsste man das Kapital zähmen, bändigen und zur Sesshaftigkeit verführen, wenn man Heimat bewahren will.«
Und so ist er auch von seinem Heimatort enttäuscht. So vieles gibt es nicht mehr – die Schule ist eine Ruine, Läden stehen leer. Ihm ist es, als schaue er der Stadt beim »Ausbluten« zu. Und doch trifft er überall Menschen, die sich behaupten an ihrem Ort. Da ist der ehemalige Klassenkamerad, der sich im Bürgerverein engagiert. Oder die alte Pensionswirtin, die den Familienbetrieb weiterführt. Oder der Ortschronist, der auch die dunklen Teile der Stadtgeschichte aufarbeitet.
Klare erkennt: Heimat hat viel mit der Kindheit zu tun. Sein Heimweh sei eigentlich ein »Zeitweh«, schreibt er. Und: Heimat hat etwas mit Menschen zu tun, die einem lieb und teuer sind.
Für dieses Buch wird Jörn Klare am 28. August in der Wittenberger Schlosskirche der diesjährige Evangelischen Buchpreis verliehen. Er hat ihn verdient.
Jörn Klare: Nach Hause gehen. Eine Heimatsuche. Ullstein Verlag 2016, 240 Seiten, 20 Euro.
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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