Erwartung: Menschen wollen einfache Klarheit, das zeigte zuletzt die US-Wahl – bloß keine Überraschungen. Doch Gott kommt ganz unerwartet in die Welt.
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Advent ist Warten. Und eigentlich glauben wir auch in diesem Jahr genau zu wissen, worauf: Menschlich auf Gemütlichkeit und Kerzenlicht, im Glauben auf festliche Gottesdienste und Gottes Nähe in den vertrauten kirchlichen Farben. Und auch politisch war das Erwartete bis vor Kurzem klar: Ein Donald Trump wird nie US-Präsident, Großbritannien wird nie die EU verlassen, dieses Phänomen, das Populismus genannt wird, wird wieder vergehen.
Menschen lieben es übersichtlich. Erwartbar. Sie brauchen klare Bilder von sich, von der Welt, auch von Gott. Sie brauchen eine klare Perspektive – in der sie selbst natürlich auf der richtigen Seite stehen. Alles andere wäre zu verwirrend. Kaum auszuhalten. Der beruhigendste Advent wäre eine Ankunft an einem Ort, der schon lange bekannt ist. Und der genau hier wäre.
Auch Zacharias war so ein Mensch. Ein hoher Beamter im Religionsapparat, wahrscheinlich ein gelehrter Theologe dazu. Nur leider kinderlos. Als ihm beim Gottesdienst am Altar des Jerusalemer Tempels der Engel des Herrn erschien und ihm die Geburt eines Sohnes ankündigte, der Großes tun sollte, da konnte es der Priester nicht glauben. Er war alt, seine Frau auch – so etwas kann nicht sein. Unvorstellbar. »Du wirst stumm werden und nicht reden können bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird«, antwortete ihm der Engel, »weil du meinen Worten nicht geglaubt hast«.
Gott selbst brachte den gelehrten Theologen, den hohen Religionsbeamten zum Schweigen. Für neun Monate. Es ist die erste Adventsgeschichte der Bibel. So kommt Gott in die Welt. So anders. So unklar.
Menschen aber wollen Klarheit. Sie brauchen sie. Wie sehr, zeigt dieses zu Ende gehende Jahr. Die kaum zu überblickenden Folgen der Globalisierung und Digitalisierung, die kaum zu entwirrenden Konflikte und Kriege weltweit, die kaum zu verstehenden Prozesse der Politik wie beim Handelsabkommen TTIP, die sich wandelnden Werte, das Gefühl, nicht gehört und hilflos zu sein – all das füttert Ängste und Wut. In den USA wie in Europa.
Unter evangelischen Christen scheinen diese Ängste zumindest in Amerika sogar besonders groß zu sein. 54 Prozent der weißen Protestanten und sogar 70 Prozent der weißen Evangelikalen meinten bei einer aktuellen Umfrage, dass sich die Kultur und Lebensart überwiegend zum Negativen verändere – Andersgläubige, Konfessionslose, Schwarze und Einwanderer sahen die Dinge deutlich positiver. Die US-Präsidentschaftswahl spiegelte das genau: 60 Prozent der Protestanten stimmten für Trump – unter Juden, anderen Religionen und Konfessionslosen wählte ihn weniger als ein Drittel. Auch unter deutschen AfD-Wählern sind evangelische Christen stark vertreten. Auf der Suche nach einem Ausweg aus den Ängsten. Nach einer neuen Klarheit.
Die Klarheit des Advents ist ganz anders. Der fromme Josef wollte seine Verlobte Maria schon heimlich verlassen, weil er nicht verstehen konnte, dass sie vor der Hochzeit schwanger war. »Fürchte dich nicht«, sprach der Engel des Herrn zu ihm im Traum. »Sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.« (Matthäus 1). Und die schwangere Maria sagte im Advent über Gott: »Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.« (Lukas 1). Völlig unwahrscheinlich. Umstürzend. Das ist Advent.
Erst nachdem all das gesagt und der Wegbereiter dieses umstürzenden Jesus mit Namen Johannes geboren worden war, erst dann durfte der Theologe Zacharias wieder sprechen. Gott hatte alles durchkreuzt. Und es war gut.
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