Vom Ende der Nacht
Dichter und Zeuge: Zum 75. Todestag Jochen Kleppers steht uns sein Leid und sein Glaubenszeugnis vor Augen. Er ist in großer Not nicht an Gott verzweifelt. Sondern tiefer in ihn hineingewachsen.
Wer war Jochen Klepper? Jener Mann mit der hohen Stirn und dem tiefen, traurigen Blick. Der, dem man die Dünnhäutigkeit ansieht, die Empfindsamkeit. Wenn sich am 11. Dezember der Tod dieses größten evangelischen Dichters des 20. Jahrhunderts zum 75. Male jährt, steht noch einmal sein Schicksal vor Augen, das nicht begriffen werden kann in seinen leidvollen Ausmaßen. Es steht noch einmal seine Kreuzesnachfolge vor Augen, die Zeugnis abgibt von der Banalität und Totalität des Bösen der Jahre 1933 bis 1945. Aber auch von einem unergründlich festen Glauben an Gottes Macht.
Blickt man auf das leiddurchtränkte 39-jährige Leben Jochen Kleppers (1903–1942), erscheinen seine Gesangbuchlieder – wie »Die Nacht ist vorgedrungen« – als hart errungene Wahrheiten. Sie reichen tief hinein in das Geheimnis des leidenden und erlösenden Gottes.
Dieses Zeugnis spricht aber vor allem auch aus Kleppers Tagebüchern, die glücklicherweise den Krieg überlebten und unter dem Titel »Unter dem Schatten deiner Flügel« bekannt wurden. Sie dokumentieren die Perfidie des NS-Terrors, der sich wie eine Schlinge immer enger um die Familie Klepper zog. Jochen Klepper erleidet diesen Terror, weil er eine jüdische Frau geheiratet hat. Er deutete das einmal als ein Anteilnehmen am Erleiden des furchtbaren Unrechts, das dem jüdischen Volk widerfährt. Diese Solidarität war ihm als Kind einer preußisch-nationalen Pfarrersfamilie nicht in die Wiege gelegt.
Bereits am 27. Juni 1933 notiert Klepper in seinem Tagebuch: »Als Jüdin in Deutschland, als Deutscher in Deutschland sind wir eingekreist, haben keinen Raum mehr.« Und knapp zehn Jahre später, am 7. Mai 1942, beschreibt er die totale Zermürbung: »Die innere Last der Tage wird von Woche zu Woche größer. Man staunt, dass man noch lebt. Aber innerlich ist es nur ein Vegetieren. Ich werde nicht mehr fertig mit den Belastungen unseres Lebens (...).«
Kleppers Tagebuch bezeugt die seelischen Verheerungen der Verfolgung. Immer wieder schreibt er Sätze wie: »In welchen Bannkreis der Angst sind wir geraten.« Oder: »Aber das Herz zittert immerzu.«
Klepper, der sein Theologiestudium kurz vor dem Ende abgebrochen hat, um eine Laufbahn als Journalist und Schriftsteller einzuschlagen, wird zerrieben in diesem Staat, weil er leibhaftigen Anteil nimmt am Leid der Juden. Immer verzweifelter versuchte er, doch noch eine Rettung in Gestalt einer Ausreise für seine Frau Johanna und die in Berlin verbliebene Stieftochter Renate zu erwirken. Alle Beziehungen bis in die höchsten Kreise, die sich ihm durch seinen literarischen Erfolg eröffnet hatten, erwiesen sich aber als Trug. Die Schlinge zieht sich zu.
Am 18. August 1942 schreibt Klepper: »Die Deportationen verdichten und beschleunigen sich wieder; ein Kollege von Renerle mit zweijährigen Zwillingen (...) Und wie noch bei der Deportation die Familien auseinandergerissen werden. Und von den bereits Deportierten keine Nachricht. (...) So entsetzlich ist diese kalte, organisierte, erdachte, im Programm eines Jahrzehnts entwickelte Grausamkeit. Allmählich zerstört es einen ganz und gar.«
Klepper wollte einen letzten sich bietenden Strohhalm möglicher Rettung ergreifen. Nachdem insbesondere die Schweiz immer wieder die Aufnahme der Kleppers ablehnte, bot Schweden überraschenderweise Anfang Dezember 1942 doch noch eine Einreisegenehmigung für Renate. Klepper benötigte nur noch die in Aussicht gestellte Genehmigung der deutschen Behörden. Doch Reichsinnenminister Frick verwies ihn an Adolf Eichmann.
Am 9. Dezember sucht Klepper Eichmann im Sicherheitsdienst-Hauptquartier auf. Eichmann hält Klepper aber zunächst noch hin, sagt ihm: »Ich habe noch nicht mein endgültiges Ja gesagt. Aber ich denke, die Sache wird klappen.« Klepper bemüht sich dann noch um die Genehmigung der Ausreise seiner Frau – eine neue Schwierigkeit.
Nach einem Tag qualvollen Wartens schreibt Klepper am 10. Dezember in sein Tagebuch: »Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.«
Am nächsten Tag findet die Haushälterin die Leichen von Jochen und Johanna Klepper und die Renates in der Küche liegend. Der Gashahn des Herdes war aufgedreht.
Kleppers Kreuzweg endete an einem Punkt unerträglicher Zermürbung. Fassungslos steht man vor diesem Ende. Und gleichzeitig auch staunend. Denn Klepper hat seine Existenz während seines Leidens immer tiefer hineinverwoben in das Sein Gottes. Inmitten seines Kreuzweges konnte er Lieder tiefsten Gottvertrauens dichten. Ihm ist es gelungen, sich hineinzuverwandeln in das Bild Christi, in die Erlösungsmacht Gottes – und hat die Welt überwunden. Den Glauben zu begreifen als Überwinderkraft, ist seine Botschaft: Dass das Leiden und der Tod nicht verstanden, sondern überwunden werden in Christus.
Zu Weihnachten 1941 schreibt Klepper diese Zeilen: »Um nichts anderes geht es: zu Weihnachten auszulöschen – nicht zu sterben, sondern auszulöschen in aller Qual und allem Elend, die Gott auch über die Seinen kommen ließ und lässt, und einzugehen allein in sein Licht, indes das Menschliche im Herzen zerbricht.« Es ist, als wüchse Gottes Macht unaussprechlich im Inneren heran, um die letzte und größte Wandlung zu vollbringen.
Von Klepper bleibt, dass es im Leben und Glauben einzig darauf ankommt, sich ganz und gar Gott zu übergeben und ihn in sich und an sich wirken zu lassen – sich ihm gänzlich zu überlassen. In allem Dunkel wächst dann eine Verwandlung des Selbstbewusstseins in ein Gottesbewusstsein. Es entsteht eine tiefe Gottgeborgenheit – die Gewissheit eines Endes der Nacht. Diese Gottgeborgenheit drückt sich in Kleppers Neujahrslied von 1937/38 aus: »Der du allein der Ew’ge heißt / und Anfang, Ziel und Mitte weißt / im Fluge unsrer Zeiten: / Lass, sind die Tage auch verkürzt, / wie wenn ein Stein in Tiefen stürzt, / uns dir nur nicht entgleiten!«
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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