Bereits im Oktober unternahm eine Gruppe des Gustav-Adolf-Werkes in Sachsen (GAWiS) ihre bisher weiteste Diasporareise: in den russischen Nordkaukasus. Ziel war die gleichnamige Propstei mit sechs registrierten evangelisch-lutherischen Gemeinden auf einer Fläche, etwa halb so groß wie die Bundesrepublik. Da der Kaukasus ein politisches, religiöses und ethnisches Pulverfass ist, hatten wir uns vorher genau nach der Sicherheit unserer Zielregion erkundigt.
Bereits vor 30 Jahren bereiste der sächsische Pfarrer Alfred Mütze Jahr für Jahr diese Region und betrieb dort Gemeindeaufbau mit Gottesdiensten, Bibelstunden und Seminaren. Sein kleines Museum »Kaukasusstube« in Sebnitz (Sächsische Schweiz), wo er im Ruhestand lebt, ist heute noch eine Frucht dieser Arbeit. Das GAWiS unterstützt diese Arbeit seit vielen Jahren mit Beihilfen. Erstes Ziel war die Millionenstadt Krasnodar (»Rote Gabe«), früher Jekaterinodar (»Geschenk der Zarin Katharina der Großen«).
Das einstige lutherische Kirchengebäude, das wir besichtigen konnten, ist heute eine Künstlergalerie mit einem eindrucksvollen Fundus moderner russischer Kunst. Eine Rückübereignung und ein Rückbau zur Kirche ist für die kleine Gemeinde derzeit keine Option, es würde sie heillos überfordern. Sie trifft sich in einem unscheinbaren, eingezäunten erdgeschossigen Wohnhaus in einer Nebenstraße eines Außenbezirks sonntäglich zum Gottesdienst und mittwochs zur Bibelstunde.
Etwa 40 Personen waren bei unserem Besuch im Gottesdienst anwesend. Einmal im Monat hält Propst Maramzin den Gottesdienst – er braucht dazu drei Autostunden Anfahrt – die anderen Gottesdienste halten Laien. GAWiS-Vorstandsmitglied Michael Schubert hielt wunschgemäß ein Grußwort in Predigtlänge. Im Anschluss war im Hof unter der Weinlaube ein sonntägliches Büffett aufgebaut, das Gelegenheit zu vielen Gesprächen gab.
Zweites Ziel war die Hafenstadt Noworossijsk (»Neu-Russland«) am Schwarzen Meer. Hier steht das einzige Kirchengebäude der Propstei, das in ihrem Besitz und in ihrer Nutzung ist. Die Kirche wurde 1928 enteignet, war danach ein Militärobjekt, später ein Laden. Von 1988 bis 2007 wurde sie schrittweise wieder zur Gottesdienststätte umgestaltet. Zunächst diente sie einer adventistischen Gemeinde als Bethaus, seit einigen Jahren aber der lutherischen Propstei.
Die Kirche lag im zweiten Weltkrieg in einer hart umkämpften Zone, viele Gebeine wurden im Gelände gefunden, und sie ist bis heute ihres Turmes beraubt, aber ansonsten baulich einigermaßen intakt. Pastor Pavel Tkatschenko empfing uns gemeinsam mit einzelnen Gemeindegliedern und seinem allgegenwärtigen Smartfon in der Hand mit einer Andacht. Die Ausgestaltung der Kirche mit zahlreichen orthodoxen Anleihen sowie der Weihrauchgeruch befremdeten uns etwas.
Drittes Tagesziel war das Projekt eines neuen Gemeindehauses in Maikop, für das am Reformationsfest die Landeskollekte bestimmt war. Maikop ist die Hauptstadt der tscherkessischen autonomen Republik Adygeja, einer sehr moderaten muslimischen Region – wir sahen keine einzige verschleierte Frau. Das kleine Gemeindehaus steht in dem 35 Kilometer entfernten abgelegenen Dorf Machotschewskaja. Das Häuschen erweckte eher den Eindruck einer Datsche als eines Propsteigebäudes.
Propst Maramzin aber erzählte uns von Kinderrüstzeiten, die dort im Sommer stattfänden, von Sammlungen diakonischer Hilfsgüter im Haus und einem Büro, das wir in Gestalt eines Arbeitstisches erkannten. Maramzin hatte für uns eine anschauliche Bildpräsentation über sein Arbeitsgebiet vorbereitet. Kennzeichnend sind die weiten Wege: Er sprach von neun Autostunden und mehr, um alle Gemeinden seiner Propstei zwischen Wladikawkas im Osten und der Krim im Westen zu besuchen. Gelegentlich schaffe er es nicht, rechtzeitig zu einer Beerdigung zu kommen. Es fehle außerdem an Predigern. Schließlich sei Moskau weit weg (eine typisch russische Bemerkung), und man verstünde dort oft nicht so recht die andere Realität in der Randprovinz. Seinen geistlichen Dienst übt Maramzin nebenamtlich aus – zum Broterwerb für seine Familie genügt das Einkommen nicht.
Der Besuch eines Höhlenklosters, eine Besichtigung des erst kürzlich eingerichteten deutschen Soldatenfriedhofs in Chadischensk (auch hier am Kuban-Fluss fand eine entsetzlich verlustreiche Schlacht statt) und ein abschließender Besuch in Moskau an den letzten beiden Tagen mit einem Gespräch in der Kanzlei der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Europäischen Russland (ELKER) in der Peter-Pauls-Kathedrale rundeten die Besuchsreise ab. Diese Kirche mitten im Moskauer Zentrum – zur sowjetischen Zeit u. a. ein fotochemisches Labor – war erst im kürzlich im Beisein des deutschen Bundespräsidenten offiziell an die lutherische Kirche zurückgegeben worden (selbstverständlich unsaniert …). Sie ist mit fast täglichen Konzerten ein beliebter Anziehungspunkt in der Millionenstadt geworden.
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