»Es bleibt letztlich Gnade«
Der Evangelische Buchpreis 2021 geht an Iris Wolff und ihr Buch »Die Unschärfe der Welt«. Ein Gespräch über Herkunft, Gnade, Gott und das Schreiben.Frau Wolff, herzlichen Glückwunsch zum Evangelischen Buchpreis! Wie wichtig ist Ihnen diese Auszeichnung?
Iris Wolff: Es gehört zu den schönsten Seiten des Berufs, wenn das Telefon klingelt und man erfährt eine solch freudige Überraschung. Ein Preis stellt einen in die Tradition derer, die den Preis schon vorher bekommen haben; meist ist das eine gute Gesellschaft. Und er erschließt einem neue Leserinnen und Leser. Nicht zu unterschätzen ist das Preisgeld: Als freie Schriftstellerin lebt man vom Buchverkauf, den Lesungshonoraren – die gerade fast komplett wegfallen – und von Stipendien und Preisen.
»Lass mir dieses Kind« lautet der erste Satz Ihres Buchs. Eine direkte Ansprache an Gott?
Ja. Die Hauptfigur Florentine weiß, dass es bei all ihrem Wünschen und Hoffen letztlich Gnade bleibt, ob sie ihr Kind behalten darf. Es gibt einen großen Mitspieler, der mitgedacht werden muss.
»Die Unschärfe der Welt« spielt in Siebenbürgen, dort haben Sie Ihre Kindheit verbracht, bevor Sie mit acht Jahren nach Deutschland gezogen sind. Wieviel Erinnerung steckt in dem Buch?
Mit Florentine und Hannes, ihrem Ehemann, bin ich wieder in eine verlorene Welt zurückgekehrt: den Pfarrhof, in dem ich aufgewachsen bin. Das Licht im Buch, die Natur, die Selbstverständlichkeit der Gemeinschaft, das entbehrungsreiche Leben im Kommunismus in Rumänien, dies alles ist eine Tonspur meiner Erinnerungen.
Der Roman erzählt eine Familiengeschichte über mehrere Generationen. Seine Machart gleicht einem lockeren, durchlässigen Gewebe, das manches in der Schwebe lässt.
Das ist ein schönes Bild, weil im Buch ja tatsächlich sieben verschiedene Perspektiven verwoben sind. Auch wenn jemand stirbt, ist der Faden zwar abgeschnitten, aber er hängt nicht lose herab, sondern wird wieder aufgenommen von den Menschen, die sich an die Verstorbenen erinnern. Das ist mein Bild vom Leben in einer Gemeinschaft, das sich auch in der Form spiegelt, die ich für den Roman gewählt habe.
Die einzelnen Momentaufnahmen und Szenen hallen lange nach – ohne dass jedes Detail auserzählt wird.
Es ist mir wichtig, nicht alles auszuformulieren und zu deuten. Das ist doch im echten Leben genauso. Wir wissen wenig von den anderen Menschen und warum Dinge passieren oder auch nicht.
Florentine ist eine Außenseiterin und will das auch sein. Allerdings: Die soziale Kontrolle, die ihr als Frau des Pfarrers und als ziemlich unkonventionelle Mutter durch das Dorf begegnet, geht ihr ziemlich auf die Nerven.
Diese Tradition, als Pfarrfrau über den Beruf des Mannes definiert zu werden, war in Siebenbürgen sehr ausgeprägt. Meine Mutter wurde als Pfarrfrau von den Älteren im Dorf als »Frau Mutter« angesprochen. Sie war eine Respektsperson in dieser dörflichen Gemeinschaft. Die Florentine im Buch ist eine junge Städterin, die diese Erwartungen erst nicht erfüllt, dann aber in ihre Rolle hineinwächst. Auch Hannes, der Pfarrer, untergräbt die Erwartungen der Gemeinschaft an Frömmigkeit. Er ist ein Suchender, der im Glauben Zweifel hat.
Der zweifelnde Pfarrer, der für die Beerdigung eines Jugendlichen schier keine Worte, dafür aber den Vater findet, der von der Trauerfeier für seinen Sohn verschwunden ist. Er trauert auf seine Weise und umarmt im Stall eine Kuh. Ein Bild wie aus einem Film.
Es war für mich beim Schreiben ein beglückender Moment, als dieses Bild entstanden ist. Das war nicht geplant. Ich stecke beim Schreiben oft selbst wie in einem Film und sehe die Szenen bildlich vor mir.
Florentine und Hannes haben beide eine Skepsis gegenüber Worten. Sie sind eine Sprachkünstlerin, können mit Worten berühren, ihr poetischer Ton ist hochgelobt. Teilen Sie als Autorin die Skepsis Ihrer Figuren?
Wir reduzieren unsere Gedankenwelt durch tägliche Äußerungen und verfehlen dabei oft haarscharf das Eigentliche. Florentine hat dafür ein Bewusstsein. In dem Verweigern der Worte steckt eine Suche nach Wahrhaftigkeit.
Sie setzen einen wissenden Leser voraus, der die Geschichte Rumäniens und der deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen kennt. Erklärpassagen gibt es in der »Unschärfe der Welt« keine, dafür aber rumänische Wörter, die nicht übersetzt sind.
In meinem ersten Roman »Halber Stein« habe ich die Leserinnen und Leser ausgiebig über die 800-jährige Geschichte und Kultur der deutschen Minderheit in Siebenbürgen in Kenntnis gesetzt. Davon habe ich mich nach und nach befreit, ich will Romane und keine Geschichtsbücher schreiben. Ich muss den Leserinnen und Lesern eine gewisse Fremdheit zumuten, die dieser Landstrich notgedrungen hat – aber Literatur berührt ja nicht nur den Verstand.
Am 19. Mai wird der Schriftstellerin Iris Wolff (43) in den Franckeschen Stiftungen Halle/S. der Evangelische Buchpreis 2021 für Ihren Roman »Die Unschärfe der Welt« verliehen, der unter anderem von einer Pfarrerfamilie in Siebenbürgen zur Zeit der kommunistischen Diktatur handelt. »Der Roman erzählt zugleich von der Liebe. Wie sie entsteht und wächst, wie sie verloren geht, wie sie sich in der Routine einrichtet, wie sie verraten wird und wie sie auch eine Trennung überdauert. Mit nüchternem Blick und großer Zartheit lässt Iris Wolff uns an den Menschen und ihren Entdeckungen der Liebe teilhaben«, so die Jury.
Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt. Klett-Cotta Verlag 2020, 215 S., 20 Euro.
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Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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