Jede und jeder kann etwas tun
Kerstin Rothe predigt ehrenamtlich in Gottesdiensten – wie am Sonntag in CavertitzMuss das denn sein? Diese Frage hört man dieser Tage öfter. In Zeiten einer stark beschränkten Öffentlichkeit murmelt so mancher diesen Seuzfer, wenn er Menschenansammlungen sieht oder von mehr oder weniger notwendigen Zusammenkünften hört. In Bezug auf das kirchliche Leben heißt das: »Müssen wir jetzt unbedingt Gottesdienst feiern?« Diese Frage hat sich auch Kerstin Rothe gestellt. Ihre eindeutige Antwort lautet: Ja, es muss sein, und so hält sie am ersten Sonntag nach Epiphanias in den Kirchen Lampertswalde und Cavertitz jeweils eine Andacht.
Kerstin Rothe wohnt im kleinen Dörfchen Leisnitz und ist Ehrenamtliche in der Kirchgemeinde Oschatzer Land. Als solche ist es ihr ein Bedürfnis, zum Gottesdienst zu gehen und für andere Menschen da zu sein. Also beginnt sie fröhlich ihre Andacht mit Gedanken zum Wochenspruch und leitet dann zur Frage über, ob es in Corona-Zeiten reicht, digitale Angebote der Kirche wahrzunehmen. Wenn es ihr ausreichen würde, stünde sie sicher nicht hier. Im Chorraum der Cavertitzer Kirche leuchtet der Christbaum, vier Adventskerzen brennen auf einem Kranz, und ein illuminierter Scherenschnitt mit einer Krippenszene verbreitet spätweihnachtliche Atmosphäre.
Es könnte sein wie immer im neuen Kirchenjahr, und doch ist alles anders. Es fällt schwer, beim ersten Lied »Danke für diesen guten Morgen« innerlich mitzusummen, denn Singen ist zur Zeit verboten. An der Liedtafel steht ohnehin nur eine Nummer: der Psalm, aber der wird gelesen. Doch Kerstin Rothe ist frohgemut und hält eine frische Predigt darüber, wie man Barmherzigkeit täglich leben kann. Die angehende Prädikantin hat seit Juli 2020 insgesamt neun Andachten gehalten. »Unser Pfarrer ging damals weg und hat gefragt, wer die Gottesdienste übernehmen kann. Da habe ich gleich zugesagt, weil das für mich in meiner Ausbildung wie ein schönes langes Praktikum ist«, sagt sie. Inspiriert worden sei sie durch ein Zitat von Dorothee Sölle: »Da kann man nichts tun, ist der gottloseste aller Sätze«. Diesen nimmt sie sich zu Herzen. »Für mich heißt das, dass jeder etwas tun kann. Man kann entsprechend seinen Fähigkeiten und Talenten aktiv werden.«
Kerstin Rothe steht gern vor Leuten und mag es, anderen theologische Gedanken nahezubringen. Auf Menschen zuzugehen fällt ihr leicht. Im alten dörflichen Schwesternkirchverbund, der vor einem Jahr in der Gemeinde Oschatzer Land aufging, ist sie eine von vier Ehrenamtlichen, die Andachten übernehmen. Ihren christlichen Glauben will sie nicht für sich behalten. »Man hört ja immer, dass man seinen Glauben auch zuhause leben kann. Das geht auch bis zu einem gewissen Punkt, aber die direkte Gemeinschaft ist aus meiner Sicht doch notwendig«, meint sie. Der Bibelkreis, an dem sie sonst einmal monatlich teilnimmt, wurde vorübergehend in eine Whatsapp-Gruppe umgewandelt. Aber der unmittelbare Gedankenaustausch soll möglichst bald wieder beginnen.
Das Ehrenamt sieht Kerstin Rothe auch als Ausgleich zu ihrer Arbeit in einer Bank, bei der sie stark gefordert sei. »Momentan arbeite ich ganz allein im Büro, da ist es gut, wenn man anderweitig unter Leute kommt.« Auch im Oschatzer Gospelchor hat sie in den Konzerten schon häufig Moderationen übernommen.
Dass sie ein aktiver Mensch ist und andere begeistern und mitreißen will, hört man auch aus ihrer Predigt heraus, zu der sie sich von einer Fernsehsendung hat inspirieren lassen. »Barmherzigkeit geht über reines Mitleid hinaus, sie macht aktiv und setzt in Bewegung«, führt sie am Lesepult aus. Und so wünscht sie am Ende den Gottesdienstbesuchern fürs neue Jahr, das mit so vielen Unsicherheiten beginnt, gute Erfahrungen auf dem Weg der Barmherzigkeit.
Für die Zukunft hat sie aber auch einen eigenen Wunsch, nämlich dass man bald wieder zu den bekannten Formen der Gottesdienste zurückkehren kann. »Denn das menschliche Leben ist zu 90 Prozent Routine. Wenn man ständig überlegen muss und durch neue Besonderheiten unterbrochen wird, kommt man nicht zur Ruhe, dann kann man sich im Gottesdienst nicht fallenlassen«, sagt sie. Und am Ende entweicht ihr doch noch ein kleiner Seufzer: »Mir fehlt vor allem das Singen«, sagt sie. Doch das wird es hoffentlich auch irgendwann wieder geben.
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