Gemeinde mittendrin
Neue Gemeindeformen: In Dresden will Pfarrer Christian Heurich seit zwei Jahren Gemeinde anders bauen: ohne Gebiet, ohne Kirche, ohne Konventionen, dafür mit Vision und mitten im Alltag.Viele sehnen sich nach einem neuen Aufbruch in unserer Kirche«, sagt Christian Heurich. »Aber es ist alles so genormt.« Der 39-jährige Theologe versucht einen anderen Weg. Im Frühsommer 2021 hat er nach zehn Jahren als Gemeindepfarrer im Stolpener Land das Pfarramt mit einem Coworking Space neben dem Dresdner Hauptbahnhof vertauscht, einem offenen Großraumbüro ohne festgelegte Schreibtische, wo Freiberufler aus unterschiedlichsten Bereichen an ihren Klapprechnern arbeiten: Software-Entwickler, Coaches, Leute aus Start-ups, also Firmen-Neugründungen.
»So etwas sind auch wir – ein kirchliches Start-up«, sagt er. »Wir machen etwas Neues aus dem Nichts heraus; ohne eine Gemeinde, die uns entsendet, nur mit einer Berufung und einer Vision.« Im Kirchenbezirk Dresden Nord hat er bis 2027 eine der missionarischen Pfarrstellen der landeskirchlichen Initiative »Kirche, die weiter geht«.
Vorbild für ihn sind die »Fresh X«-Initiativen der anglikanischen Kirche, die er während eines halben Jahrs in London kennengelernt hat. Diese »Fresh Expressions of Church« (»Neue Ausdrucksformen von Kirche«) gehen raus aus den Gemeinden und an verschiedenen Orten des Alltagslebens auf Menschen zu, die bisher keinen Kontakt zu Kirche hatten. »Auch wir wollen Kirche mit und für glaubens- unerfahrene, säkulare Menschen in der Großstadt sein«, sagt Christian Heurich. Für junge Erwachsene, Familien, Singles. »Aufleben Dresden« haben sie sich genannt.
Angefangen habe er damit, Menschen um ihn herum zuzuhören, sie zu fragen: Was bewegt dich? Er hat Menschen angesprochen bei Vorträgen, Konferenzen und als passionierter Langstreckenläufer bei Lauftreffs. Über Kollegen und Freunde hat er Kontakte geknüpft zu Leuten, die von dieser Möglichkeit begeistert waren, sich mit ihm in völliger Offenheit auf die Suche nach neuen Formen zu begeben. Inzwischen ist daraus ein Team von fast 20 Frauen und Männern geworden, in dem auch sieben Kinder dabei sind.
Maria Weigand gehört dazu, 34 Jahre alt. Mit Mann und zwei Kindern lebt die studierte Bildungsforscherin in Dresden, arbeitet bei einer Stiftung. Sie hält für wichtig, Kinder in eine Gemeinschaft zu integrieren und sie nicht als kleine Störenfriede zum Stillsein zu ermahnen. »Kinder bringen Lebensfreude und stellen Fragen, die Erwachsene sich nicht stellen.«
Außerdem habe sie in ihren Gesprächen mitbekommen, wie viele sich für Spiritualität interessieren und mit philosophischen Fragen an ihr eigenes Leben herangehen. Auch ein Angebot für Stille und Meditation könne sie sich vorstellen. Oder eine Mittagspause, wo man gemeinsames Essen verbindet mit Gesprächen über Lebensfragen.
Max Steinert, auf dem Dorf in der Oberlausitz aufgewachsen, entwickelt ebenfalls Ideen im Team mit. Der 25-Jährige arbeitet als Jurist in einer Kanzlei. »Meine Kollegen machen sich Gedanken darüber, ob sie den richtigen Beruf gewählt haben und was ihre Berufung ist. Und sie sehnen sich nach einer stabilen Partnerschaft.« Obwohl man dicht bei dicht in der Großstadt lebe, fühlten sich viele einsam. In seiner Testphase seit Herbst 2022 habe das Team zum Beispiel ein Brunch, also spätes Frühstück, mit Gesprächen im Coworking Space organisiert. »Wir waren auch in Kneipen an verschiedenen Orten in der Stadt oder am Elbufer mit einem Picknick.«
Auch in Wohnungen treffen sie sich, fügt Christian Heurich hinzu. Einen festen Ort wollten sie absichtlich nicht. Nicht als Konkurrenz, sondern Ergänzung verstünden sie sich. Die Landeskirche brauche verschiedene Arten von Gemeinde – »wie ein gesunder Mischwald«.
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