Die geschenkte Anfangskraft
Anfänge: Bei der Geburt eines Kindes ist das Wunder und die Kraft des Anfangs erlebbar. Von anderswoher wird etwas Neues eröffnet. Das Weihnachtswunder zeigt: Gott schenkt Anfänge und lässt die Welt nicht allein. Kann diese Zuversicht ins neue Jahr tragen?In dörflichen Regionen Deutschlands ist es noch immer Brauch, vor Häusern und Höfen Schilder in Form eines Storches aufzustellen, sobald eine Familie ein Neugeborenes willkommen heißen darf. Versehen mit ersten Informationen, wie Größe, Geschlecht oder Geburtsgewicht des Babys, nehmen die Schilder nicht nur die Dorfgemeinschaft, sondern alle Menschen, die an ihnen vorüberkommen, mit hinein in die Freude über das neugeborene Kind. Diese Verkündungsschilder anzuschauen, lässt bereits etwas von der Stimmung aufleben, die sich um jedes Neugeborene herum automatisch einstellt.
Ist ein Baby anwesend, wird leiser gesprochen, zärtlicher berührt, achtsamer miteinander umgegangen. Ein Zauber breitet sich aus, Menschen beginnen zu lächeln, sobald ihr Blick auf das Baby fällt, immer liegt etwas Überirdisches in der Luft. Ein Neugeborenes, das aktiv nichts bewirkt, hat doch Macht, die Welt neu zu lenken. Wie Vorboten dieser Andersmacht leuchten die Geburtsschilder mitten im Alltag auf und strahlen Anfangskraft ab.
In der Stadt Halle ist diese Anfangskraft sogar weithin zu hören. Jeden Tag um 13 Uhr werden dort die am Vortag geborenen Kinder der Händelstadt mit Glockenklang begrüßt. Vom »Roten Turm« auf dem Marktplatz erklingt für sie das feierliche »Halleluja« von Händel, ehe jedes Baby mit einem eigens für es bestimmten Glockenschlag der »Baby Bell« (Babyglocke) im hohen C-Ton begrüßt wird.
»Babyglocken« finden sich in etlichen, zumeist kleineren Gemeinden in Deutschland, auch im Hohen Fläming, einer Gemeinde in Brandenburg. Pfarrerinnen und Pfarrer des dortigen Kirchspiels erklären dazu auf ihrer Internetseite: »Wenn ein Kind geboren wird, ist das Grund zur Freude und ein Gottesgeschenk. Das Läuten der Glocken soll diese Freude in unsere Orte tragen und dem Baby den Weg ins Leben einläuten.«
Seit Jesu Geburt, seit Gott selbst sich verwundbar gemacht hat in einem Neugeborenen, ist die Kraft des Anfangs in diese Welt geschrieben, unauslöschlich. Das Geborensein Jesu setzt nicht nur einen zeitlichen Beginn, sondern macht das Anfangen selbst zum Prinzip des Lebens.
Sprechend ist schon der reine Wortsinn »An-fang«. Im Anfang fange ich etwas auf, das mir aktiv zugeworfen wird und für mich bestimmt ist, weil es abzielt auf mich. Es ist eine Hebammenweisheit, dass eben dann, wenn die Gebärende überzeugt ist, den Geburtsschmerzen keinen Moment länger standhalten zu können, die Geburt des Kindes unmittelbar bevorsteht. Wie oft haben Menschen rückblickend erkannt, dass ihnen vom Himmel aus Kräfte zugeworfen wurden, die es erst möglich machten, schwerste Lebenssituationen zu überstehen.
Anfang, das meint: zugeworfene Kraft, Zuversicht, Hoffnung. Nie drückt sich dieses Vertrauen in das Gehaltensein stärker und schöner aus als in der frohesten aller Botschaften: »Uns ist ein Kind geboren!«
Jesus ist ein Geborener. Er hat der Welt einen neuen Anfang geschenkt. Auch wir sind Geborene. Auch mit jedem von uns ist dieser Welt ein Neuanfang geschehen. In jedem von uns ist Anfangskraft verwirklicht. Mit der Geburt Jesu wurde ein Wegweiser gesetzt, der die Richtung weist, welche gehalten sein muss, um das Leben zu bestehen: immer wieder von Anfang zu Anfang leben.
Maria, die Mutter Jesu, war mit dieser Schöpferkraft des Beginnens leiblich verbunden.
Für Aufmerksamkeit sorgte im Sommer diesen Jahres eine Marienfigur der Künstlerin Esther Strauß, ausgestellt im Linzer Dom in Österreich. Die Skulptur mit dem Titel »crowning« (dt. »Krönung«) zeigte Maria in gebärender Haltung, das Gesicht gezeichnet von Schmerz – eine stark polarisierende Darstellung. Esther Strauß stellte mit »crowning« die Verwundbarkeit und Schutzbedürftigkeit Mariens unter der Geburt öffentlich aus, ein Widerspruch, der nicht unbewegt ließ. In einem Akt der Gewalt wurde die Figur von Unbekannten zerstört.
Dass Jesus seine Mutter, wie jedes Kind unter der Geburt, Schweiß, Blut und Tränen gekostet haben wird, stand als Idee hinter dem Kunstwerk. Die Anfangskraft des Geborenseins realisiert sich nicht ohne Schmerz, nicht ohne Verwundungen, nicht ohne Not. Die Schmerzen der Trennung des Babys aus der Allbehütetheit des mütterlichen Leibes spiegeln die Schmerzen der Trennung der Geschöpfe von ihrem Schöpfer und sind das Tor, durch das jene Anfangskraft in die Welt kommt, die immer auch Auferstehungskraft ist, entbunden aus einem unergründlichen Geliebt- und Gewolltsein. Es ist diese unwiderstehliche Freude des Anfangs, die auch in Rinsum-Lindholm in Schleswig-Holstein die Idee einer »Babyglocke« entstehen ließ. Wie Pastor Schulz-Schönfeld der Evangelischen Zeitung erklärte, läuten die Glocken des Holzturmes der St. Sebast Kirche nicht nur für die neugeborenen Kinder von Gemeindemitgliedern, sondern für jedes im Ort geborene Kind. Wenn nach einer glücklichen Geburt um 8.50 Uhr für zehn Minuten ein neues Leben »eingeläutet wird«, verbreitet sich über das ganze Jahr hinweg die weihnachtliche Zusage: »Jedes Kind ist eine Botschaft, dass Gott die Welt nicht aufgegeben hat.«
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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