Diese 70 Jahre waren kein Sonntagsspaziergang
Geschichte: Verbote, Zensur, innerkirchliche Kritik und braune Vorfahren – der SONNTAG blickt auf spannungsreiche 70 Jahre zurück. Eine Historikerin hat sie erstmals untersucht und Erstaunliches gefunden.Zwischen Konfirmation und Information« – ein heute fremdklingendes Motto für ein freies, wenn auch kirchlich finanziertes Presseerzeugnis. Der langjährige Schriftleiter Pfarrer Christian Rietschel, heute würde man ihn als Chefredakteur bezeichnen, prägte dieses Motto in einem Vortrag im Oktober 1960 vor dem Pastoralkolleg. Es umschreibt den Ursprung und Anspruch des Blattes DER SONNTAG sehr treffend.
In der Tradition des bis 1941 monatlich erscheinenden »Sächsischen Kirchgemeindeblattes für Sachsen« sollte nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder ein Kirchgemeindeblatt für die ganze sächsische Landeskirche erscheinen. Anknüpfend an die volksmissionarische Arbeit der Inneren Mission in Sachsen, die es sich besonders nach dem Ende des 1. Weltkrieges zur Aufgabe gemacht hatte, die sich immer häufiger von der Kirche abwendenden Menschen wieder mit der Frohen Botschaft des Evangeliums vertraut zu machen, planten Vertreter der Inneren Mission und des Landeskirchenamtes das neue Blatt.
Die Nähe des Kirchlichen Gemeindeblattes in den Anfangsjahren des »Dritten Reiches« zu den Deutschen Christen, einer Vereinigung, die dem nationalsozialistischen Gedankengut bedingungslos folgte, wurde nicht kritisch reflektiert und ist symptomatisch für den schwierigen Neuaufbau der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Die Zerrissenheit der sächsischen Landeskirche in der Zeit des Nationalsozialismus spiegelte sich auch in den Texten des »Sächsischen Kirchgemeindeblattes für Sachsen«, das kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges noch in »Die Heimatkirche« umbenannt worden war, wider. So war mit Esther von Kirchbach eine Anhängerin der Bekennenden Kirche mit einer wiederkehrenden Rubrik vertreten und gleichzeitig stellte man sich dem im Jahre 1937 formulierten Anspruch des »braunen« Landesbischofs Friedrich Coch, »mit der reinen, von jüdisch-römischer Dogmatik gereinigten Christusbotschaft eine Kirche bauen helfen, die ganz im Sinne Luthers dem Staate gegenüber keine Herrschaftsansprüche anmeldet oder nur andeutet, sondern die dem Staate und dem Volke dient, die sich restlos und ohne Vorbehalte in den nationalsozialistischen Staat einordnet.«
Dem ersten Erscheinen des Blattes DER SONNTAG am 16. Juni 1946 ging ein zähes Ringen zwischen dem Landeskirchenamt in Dresden und der Sowjetischen Militäradministration in Sachsen und Deutschland (SMAD) voraus. Ziel war es, an die Auflage des »Sächsischen Kirchgemeindeblattes für Sachsen« im Jahre 1941 von 350 000 Stück anzuknüpfen. Anfang Juni bewilligten die sowjetischen Behörden eine Auflage von 100 000 Stück für ein wöchentlich erscheinendes Gemeindeblatt. Außerdem wurde die Bereitstellung von Papier durch die sowjetische Besatzungsmacht zugesagt. DER SONNTAG kann am 16. Juni 1946 aber lediglich mit 60 000 Stück erscheinen, da nicht mehr Papier zur Verfügung gestellt wird.
Das Landeskirchenamt fungierte bis 1991 als Herausgeber der Kirchenzeitung. Die Hauptschriftleitung verantwortete Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe. Die Schriftleitung, die Redaktion des Blattes, lag beim Landeskirchlichen Amt für Innere Mission. Dort nahm Pfarrer Dr. Kurt Ihlenfeld diese Aufgabe wahr. Ihm standen noch zwei Schreibkräfte und ein technischer Redakteur zu Seite. Die Lizenz zur Herausgabe der Zeitung erhielt nicht das Landeskirchenamt. Sie war stattdessen auf den Hauptschriftleiter ausgestellt und musste bei einem Wechsel in dieser Position immer wieder erneuert werden. In den ersten Monaten seines Erscheinens musste der sogenannte Bürstenabdruck des SONNTAG vor seinem Druck der Nachrichtenabteilung der SMA zur Genehmigung vorgelegt werden.
Verlag der Zeitung DER SONNTAG war die Evangelische Buchhandlung Max Müller in Chemnitz, später Karl-Marx-Stadt. Hier war bereits das »Kirchliche Gemeindeblatt in Sachsen« bis 1941 herausgegeben worden. Der SONNTAG stand bis 1955 nicht zum freien Verkauf, sondern wurde an die Pfarrämter verteilt, die diesen dann an interessierte Leser weitergaben. Durch die viel zu geringe Auflage gingen die Ausgaben des SONNTAG durch viele Hände. Immer wieder wandten sich die Leser direkt an das Landeskirchenamt mit der Bitte um ein direktes Abonnement. Diese Möglichkeit bot sich erst durch eine Änderung im DDR-Presserecht ab 1955.
Um die kleine Redaktion des SONNTAG zu unterstützen und möglichst die Vielfalt der Kirchgemeinden in der sächsischen Landeskirche abzubilden, wird auf Anregung des ständigen Synodalausschusses bereits Ende 1949 ein Beraterkreis für die Zeitung DER SONNTAG eingeführt. Ihm gehörten Synodale und weitere Gemeindeglieder an, die verschiedene Interessenkreise vertraten.
Pfarrer Dr. Kurt Ihlenfeld zieht Ende 1949 mit seiner Familie nach Westberlin und legt die Schriftleitung nieder. Ihm folgt Pfarrer Dr. Christian Rietschel. Auch er wird wie sein Vorgänger als Geistlicher bei der Inneren Mission in Radebeul angestellt. Der Verlag Max Müller zahlt an die Innere Mission für die Arbeit von Schriftleiter, einem Redakteur und zwei Sekretärinnen einen Ausgleich. Der Umfang der Redaktion ändert sich bis zur Friedlichen Revolution nicht.
DER SONNTAG wurde von den Menschen, die nach dem Krieg nach Orientierung suchten, sehr dankbar aufgenommen. Aus ganz Deutschland, auch aus den Kriegsgefangenenlagern der westlichen Besatzungszonen, trafen Bittbriefe ein, den SONNTAG, dem lediglich vier Seiten zur Verfügung standen, beziehen zu können. Umso schwerwiegender war es, dass die Auflage immer weiter gesenkt werden musste. Die sowjetische Besatzungsmacht stellte keine ausreichende Menge an Papier zur Verfügung. Im Januar 1947 reicht das Papier schließlich nur noch für 15 000 Exemplare.
Es dauert fast zwei Jahre, bis Ende 1948 die Auflagenhöhe wieder auf 30 000 verdoppelt werden kann. Die sächsische Landessynode hatte bei der SMAD interveniert. Eine Lösung ergab sich schließlich über das im Jahre 1945 gegründete Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland. Mit Hilfe der evangelischen Landeskirchen in den westlichen Besatzungszonen wurde Papier zur Verfügung gestellt.
Die Auseinandersetzung um die Papierzuteilung bleibt bis zur Friedlichen Revolution 1989 ein stetiger Begleiter für die Macher des SONNTAG. So wird im Dezember 1950 in der Hochzeit des Kalten Krieges ein Papierlager des Hilfswerkes durch die DDR-Behörden wegen Spionagevorwurfs beschlagnahmt und die Weihnachtsausgabe des SONNTAG gerät kurzzeitig in Gefahr.
Ab 1952 erscheint DER SONNTAG dann in einer Auflage von 40 000 Stück. Eine weitere Erhöhung der Auflage wird von den DDR Behörden vom »Wohlverhalten« der Schriftleitung abhängig gemacht. In einem Gespräch im April 1955 zwischen dem Schriftleiter Pfarrer Christian Rietschel und dem Leiter des Presseamtes der DDR wird folgende Aussage getroffen: »Die Frage einer Auflagenerhöhung, wie sie im Synodalbericht erwähnt worden sei, sei durchaus abhängig von der loyalen Haltung der Schriftleiter.« Offenbar konnte die Redaktion des SONNTAG die DDR Behörden nicht von ihrer Loyalität überzeugen, denn trotz aller Bemühungen blieb die Auflagenhöhe bis 1989 konstant.
Neben den äußeren Schwierigkeiten wie die Frage nach der Beschaffung von Papier oder einer gültigen Lizenz für den SONNTAG gab es von Beginn an Auseinandersetzungen über dessen inhaltliche Ausrichtung. Sowohl von Kirchgemeindegliedern als auch von staatlichen Stellen gab es Kritik. Bedrohlich für das Erscheinen waren die Beanstandungen von staatlichen Stellen, die auch das Verbot verschiedener Nummern nach sich zogen. Die Kritikpunkte waren völlig unterschiedlich und abhängig vom aktuellen Verhältnis der DDR-Behörden zu den Kirchen. Da die Schriftleiter in der Lizenz für den SONNTAG persönlich eingesetzt waren, mussten sie sich auch als Person beim Presseamt der DDR verantworten und wurden bei Beanstandungen jedes Mal mit Nachdruck nach Berlin »gebeten«.
Eine erste große Auseinandersetzung findet noch zwischen dem Hauptschriftleiter Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe und dem für die Presse in Sachsen verantwortlichen sowjetischen Vertreter Hauptmann Dubow statt. Grund der Unstimmigkeiten war der in der Nr. 24 vom 9. Mai 1949 erschienene Artikel »Atomenergie – Gefahr oder Geschenk«. Der Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht moniert, dass DER SONNTAG zu viel über die Kriegsgefahr schreibe und damit amerikanische Propaganda betreibe. Die Ausgabe wird nicht verboten, aber Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe muss einer Vereinbarung zustimmen, dass bei Fortsetzung der Artikelserie Hauptmann Dubow vorher den Artikel lesen kann.
Immer wieder kommt es zur Beschlagnahme oder Beanstandungen, wenn sich DER SONNTAG der jüng-sten deutschen Vergangenheit, dem Nationalsozialismus und seinen Folgen widmete. Ein Beispiel dafür ist das Verbot von Ausgabe 28 im Jahre 1956, in dem Pfarrer Gennrich sehr eindrücklich über seine Reise in die Tschechoslowakei berichtete: »... Die Grenzlinie ist heute leider ein unübersteigbarer Zaun,... Wie zwei Welten sind die Völker voneinander geschieden. Dazu kommt, dass zwischen unseren Völkern hüben wie drüben Dinge unüberwindlich scheinen, solange die Erinnerung daran lebendig ist. Auf beiden Seiten hat man trübe, ja schreckliche Erinnerungen, die nicht vergessen sind.« Ungewöhnlich offen benennt er die Verletzungen durch den Krieg und auch die Vertreibung.
Von Seiten des Presseamtes wird dem SONNTAG vorgeworfen: »Der Artikel enthält Feststellungen, die geeignet sind, gutnachbarliche Beziehungen zwischen den Völkern der Deutschen Demokratischen Republik und der Tschechoslowakei als nicht gegeben hinzustellen und die Frage der Schuld des Faschismus an dem tschechoslowakischen Volk zu bagatellisieren.« Eine Abweichung von offiziellen Geschichtsbildern wurde von den DDR Behörden nicht geduldet.
Aber nicht nur die Abweichung von der offiziellen Geschichtsschreibung, auch nur die Beschreibung der Realität konnte zu einem Verbot des SONNTAG führen. Nach der Umstellung des Liefermodus von den Pfarrämtern hin zu Einzelabonnenten zu Beginn des Jahres 1956 wird zur Information der Leser notiert: »Zur Überleitung auf dieses Verfahren ist alles Notwendige vorbereitet, so dass die bisherigen Bezieher damit rechnen können, den SONNTAG weiterhin zu erhalten.« Die Formulierung »damit rechnen können« stelle die Möglichkeiten des Postvertriebs der DDR in Frage, wird vom Staat moniert. Die Zeitung musste neugedruckt werden und die Mitteilung unterblieb.
Zu Beginn der 60er Jahre häufen sich die Einbestellungen für den Schriftleiter Pfarrer Christian Rietschel. So ist ein Artikel in Nr. 22 von 1962 über die Diskriminierung von getauften Kindern ein Anlass zur Kritik. Dies seien nur Einzelfälle und von den DDR Behörden nicht geduldete Ausnahmen, wird ihm im DDR-Presseamt entgegengehalten. Auch der Kalte Krieg hinterließ seine Spuren in der Zensurpolitik der DDR gegenüber dem SONNTAG: Abdrucke von Erklärungen der EKiD seien eine unangemessene Unterstützung der Bonner Republik. Ein Bericht über Missionare im Jahre 1968 wurde beanstandet, weil darin der Kolonialismus der westlichen Staaten gestützt und nicht angeprangert würde.
Ende der 60er Jahre stellten sich für die Macher des SONNTAG plötzlich ganz neue Herausforderungen. Die erste Generation der Abonnenten verstirbt und es gibt nicht mehr genügend neue Anfragen. Daher beginnt ab 1969 eine offensive Werbung für den SONNTAG zuerst auf den Pfarrertagen, die dann in eine intensive Diskussion über die Ausrichtung der Zeitung mündet.
Die Kritikpunkte umfassen äußere Fragen wie der kleinen Schrift und dem zu geringen Umfang, aber vor allem inhaltliche Fragen wurden diskutiert. Es würden zu viele Informationen ohne deren Einordnung abgedruckt und die theologische Ausrichtung sei zu einseitig. Daraufhin wird der 1949 gegründete Beraterkreis in einen Redaktionskreis umbenannt und mit fünf Laien und fünf Ordinierten besetzt. Die inhaltlichen Überlegungen und die Werbemaßnahmen zeigen Erfolg und 1975 liegt die Zahl der Abonnenten wieder bei fast 40 000.
Schon 1973 wird die Schriftleitung neu besetzt. Pfarrer Christian Rietzschel geht in den Ruhestand und wird durch Pfarrer Hans Wiede von der Dresdner Dreikönigskirche ersetzt. Dieser ist schon seit 1964 nebenberuflich an der Redaktion des SONNTAG beteiligt. Mit Hans Wiede wird die Stelle der Schriftleitung des SONNTAG mit der Pressestelle des Landeskirchenamtes kombiniert. Hans Wiede beantragt eine eigene Lizenz für den SONNTAG und nur wenig später muss er sich vor den DDR-Behörden für missliebige Artikel verantworten. Ein Artikel in der Ausgabe 2 im Jahre 1975 über das Konzil der Jugend in Taizé, in dem ein Gebet für die Völker Koreas gesprochen wird, das nicht in Nord- und Südkorea unterschieden hatte, ist der Stein des Anstoßes.
Noch im selben Jahr kritisieren die DDR-Behörden erstmals auch einen Artikel über die wachsenden Umweltprobleme. Ein Vorbote der Auseinandersetzung in den achtziger Jahren. In den letzten zehn Jahren vor der Friedlichen Revolution bilden sich die viel diskutierten Themen im SONNTAG ab. Seit 1980 führt Friedbert Stöcker die Schriftleitung und er muss sich immer wieder für Artikel über die Friedenserziehung, den Umweltschutz und Fragen der Demokratie verantworten. So dürfen in der Ausgabe 10 im Jahr 1988 die »Zeugnisse der Betroffenheit« der Ökumenischen Versammlung nicht abgedruckt werden. Darin war der DDR- Alltag mit seinen Herausforderungen und die massive Umweltverschmutzung unerbittlich aufgezeigt worden. Auch der Abdruck von Fotos wurde verweigert. Ein Foto des Olof-Palme-Gedenkmarsches, das Demonstranten mit einem Plakat mit »Schwerter zu Pflugscharen«-Symbolen zeigte, durfte in der Nummer 41 im Jahre 1987 nicht erscheinen.
Unermüdlich versuchen Landeskirchenamt und Landessynode die Auflagenanzahl oder das Format zu verändern. So fordert der Präsident des Landeskirchenamtes im Mai 1984 nach einer Bitte der Landessynode in der Dienststelle des Sekretariats für Kirchenfragen »zum wiederholten Male«, wie das Ministerium für Staatssicherheit konstatierte, die Erhöhung der Auflage und die Vergrößerung des Formates. Alle Versuche schlagen fehl.
Eine große Herausforderung für die kleine Redaktion ist die lange Vorlaufzeit für Artikel. Meist schon zwei Wochen vor dem Erscheinen des Blattes müssen die Artikel fertig sein. Dies erweist sich gerade in der Dynamik des Herbstes 1989 als großes Problem.
Im Frühjahr 1990 ändern sich endlich die Arbeitsbedingungen für den SONNTAG. Der Umfang wird zunächst auf acht, später auf zwölf Seiten erweitert. Die Abhängigkeit vom DDR-Presseamt endet. Mit der neuen Freiheit warten neue Herausforderungen auf das Blatt. Die Frage nach der inhaltlichen Ausrichtung stellt sich und muss vom neuen Chefredakteur Ulrich Wickel von 1991 bis 2003 beantwortet werden. Von 2004 bis 2008 stand Uwe von Seltmann dem Blatt als Chefredakteur vor, ihm folgte Christine Reuther und seit 2012 führt Andreas Roth die Redaktion. Die Aufgabe des Verlages übernimmt seit 1991 die Evangelische Verlagsanstalt in Leipzig, die Herausgeberschaft seit 2002 der Evangelische Medienverband.
Heute steht der SONNTAG vor der Herausforderung, dem Informationsbedürfnis in unserer Landeskirche und Gesellschaft nachzukommen, die Vielfalt der Frömmigkeitsrichtungen unserer Landeskirche abzubilden und gleichzeitig dem Wunsch nach Orientierung zu entsprechen.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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