»Wir haben Dir Unrecht getan«
Homosexualität und Kirche: Vor 35 Jahren gründete der angehende Pfarrer Eduard Stapel in Leipzig den Arbeitskreis Homosexualität in der Kirche. Der Weg ins Pfarramt blieb ihm versperrt. Heute wartet er auf ein Schuldbekenntnis seiner Kirche.Ich wollte einen Partner kennenlernen, Kinder adoptieren und mit diesem Familienglück alt werden«, erzählt Eduard Stapel bei der dritten Zigarette in seinem Wohnzimmer in Bismark, im Norden Sachsen-Anhalts. »Aber das ging damals absolut gar nicht.« Das war Anfang der 1980er Jahre. Eddi, wie er überall genannt wurde, ist schwul. Er träumte einen geradezu naiven Traum.
Der heute 64-Jährige merkte bald, dass er als Homosexueller in der DDR kaum Rechte und wenig Anerkennung hatte. Der einzige Treffpunkt, um Männer kennenzulernen, waren sogenannte Klappen – öffentliche Toiletten, wie sie auch in Leipzig vor dem Neuen Rathaus zu finden waren, wo er damals studierte. Heute sagt er: »Das ist natürlich keine gute Basis, jemanden kennenzulernen. Ich wollte da auch nie hingehen, habe es aber trotzdem gemacht.« Dort entstand aber die Idee: eine »ordentliche Gruppe« wollte Eddi ins Leben rufen, wo man sich treffen und austauschen konnte. »So etwas fehlte eben.«
Der Theologiestudent wusste von den Freiräumen in der Kirche, von den Arbeitskreisen für Frieden und Ökologie. So lag es nahe, dass er in der Evangelischen Studentengemeinde nachfragte, ob sich auch Homosexuelle dort treffen könnten. Er stieß auf offene Ohren beim Studentenpfarrer Dieter Ziehbart, der selbst dafür Kritik in Kauf nahm, wie er sich Jahre später erinnert: »Ich kriegte böse Anrufe vom Rat des Stadtbezirks, was wir hier eigentlich machten. Sie hätten natürlich nichts gegen ›diese Leute‹, aber es wäre doch nicht angebracht, dieses Thema so hochzuhängen. Es könnte doch auch missbraucht werden zur Hetze gegen die DDR.« Die Kirchenleitung formulierte es milder: »Haben Sie sich das gut überlegt?«, war da die Frage an den Studentenpfarrer.
Davon unbeirrt traf sich im April 1982 der Arbeitskreis Homosexualität das erste Mal. Vier handgefertigte Plakate hatten die Studenten in Leipzig aufgehängt. Aber es erschienen mindestens 120 Menschen, manche Zeitzeugen sprechen von 300 Besuchern – aus dem ganzen Süden der DDR.
Weil es so angekündigt war, musste sich der Arbeitskreis alle 14 Tage wieder treffen. Neben Austausch und Aufklärung, auch für Eltern, hatte die Gruppe ein politisches Anliegen, wie Stapel betont: »Ich hatte mich in meinem Studium mit Menschenrechtsfragen befasst. Ich musste aber erst lernen, es auch so zu formulieren, dass Schwulenrechte eine Menschenrechtsfrage sind.«
Nicht nur die Stasi wurde so auf Schwule im ganzen Land aufmerksam, sondern auch die Kirchenleitung. Der angehende Pfarrer Eduard Stapel forderte Gleichstellung im kirchlichen Raum. Die Quittung war quasi ein Berufsverbot, obwohl es schwule und lesbische Theologen gab. »Die haben aber meines Wissens nie gesagt: Wenn ich ins Pfarramt komme, will ich, dass im Pfarrer-Dienstgesetz steht, dass ich mit meinen heterosexuellen Kollegen gleichberechtigt bin. Also gab es auch diese Probleme nicht, man konnte die Leute durchrutschen lassen. Ich habe das gefordert.«
Nach 35 Jahren blickt Eduard Stapel zurück auf ein in manchen Teilen anderes Leben, als er es sich erträumt hatte. Da er kein Pfarrer werden konnte und die Wende kam, engagierte er sich politisch für Homosexuelle und ist bis heute Parteimitglied der Grünen. In seiner Heimatstadt Bismark war er bis jetzt Ortsbürgermeister, gibt das Amt aber wegen schwerer Krankheit nun ab. Verpartnert ist Stapel inzwischen mit einem Mann, der sogar ein Kind in die Beziehung brachte. Allerdings stammt sein Mann aus Afrika, wo Homosexualität fast überall verboten ist. Stapel will ihn schützen und nennt keine Details.
Von der Kirche ist er noch immer enttäuscht: »Ich hätte nun gerne, dass mal jemand sagt: Wir haben Dir aber mächtig Unrecht getan.« Eine Entschuldigung oder gar Rehabilitierung gab es aber genauso wenig wie eine finanzielle Wiedergutmachung für einen Berufsweg, den Eduard Stapel nicht gehen durfte.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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