Vorurteile entlarven
Religionen: Horst Junginger ist in Leipzig Professor für Religionskritik. Mit dem SONNTAG sprach er über Sinn und Chance von Kritik, über das Erbe der DDR-Kirche und die heutige Islamfeindschaft.Herr Professor Junginger, Sie haben zum 1. Januar 2018 in Leipzig eine Stiftungs-Professur für Religionswissenschaft und Religionskritik angetreten. Was ist ihr Ziel?
Horst Junginger: Wichtig ist mir, den wissenschaftlichen Aspekt zu betonen und die religionswissenschaftliche von der weltanschaulichen Religionskritik abzugrenzen. Ich versuche über die großen Fragen nachzudenken, die im universitären Alltagsbetrieb meist zu kurz kommen: Warum gibt es Religionen? Warum sind Menschen religiös? Welche Voraussetzungen und Funktionen hat eine Religion?
Der Leipziger Theologieprofessor Peter Zimmerling hat Ihre Professur als »taktlos« kritisiert. In Leipzig bräuchte es nach dem DDR-Atheismus eine Stärkung der Religion und nicht eine Professur für Religionskritik ...
Ich sehe das gelassen. Wie die Literaturkritik nicht die Literatur abschaffen will oder die Kunstkritik die Kunst, will auch die Religionskritik nicht die Religion abschaffen. Dass von konservativer Seite die Religionskritik negativ beurteilt wird, hatte schon der Stifter dieser Professur erfahren. Das ist der Wiener Kirchenkritiker Adolf Holl, der von den Vertretern des katholischen Traditionalismus attackiert wurde. Wegen des kirchenkritischen Buches »Jesus in schlechter Gesellschaft« verlor Holl auch sein Priesteramt. Die Immunisierung der Religion gegen Kritik von außen ist keine gute Strategie, um den Herausforderungen der säkularen Moderne zu begegnen. Eine solche Einstellung ist rückwärtsgewandt und verhindert den freien Dialog in einer offenen Gesellschaft.
Wie entgegnen Sie dem Vorwurf, die Ansiedlung Ihrer Professur für Religionskritik in Leipzig sei »taktlos«?
Soweit ich es beurteilen kann vertritt Herr Zimmerling eine Außenseitermeinung, die in der Theologie nicht konsensfähig ist. Würde sie sich durchsetzen, wäre der Status der Theologie an der Universität akut gefährdet. Die Universität ist eine säkulare Einrichtung, die es nicht hinnehmen kann, wenn ihr wissenschaftliches Selbstverständnis religiös untergraben wird. Wissenschaft lebt von der Kritik, nicht von ihrer Abwehr. Entgegen seiner eigentlichen Absicht bietet der Universitätsprediger deshalb ein gutes Beispiel dafür, warum Religionskritik auch heute noch notwendig ist.
Wo wäre heute Kritik an der evangelischen Kirche nötig?
Ich würde als erstes die Verflechtung zwischen Staat und Kirche nennen. Die Gleichberechtigung ist auf dem Gebiet der Religion längst noch nicht realisiert. Alle Menschen sind in ihren demokratischen Rechten und Pflichten gleich, also sind sie auch in ihren religiösen Rechten und Pflichten gleich. Über Privilegien, die sich aus vordemokratischer Zeit erhalten haben, muss offen gesprochen werden. Die evangelische Kirche hätte gut daran getan, ihr Verhältnis zur Obrigkeit nach der Wende zu überdenken. Hätte man dabei auch die Perspektive der DDR-Kirchen stärker berücksichtigt, würde sich einem heute weniger der Eindruck aufdrängen, als ob die Staatsnähe des Protestantismus ein altes Obrigkeitsdenken fortschreibt.
Gibt es in unserer Zeit Ihrer Meinung nach eine Rückkehr der Religion?
Die Religionssoziologie kann das für Deutschland eindeutig mit »Nein« beantworten. Die Entwicklung läuft auf eine weitere Zunahme der religiösen Indifferenz hinaus, die von einem kleinen Segment offensiver Atheisten auf der einen und frommen Eiferern auf der anderen Seite flankiert wird.
Wie beurteilen Sie die Situation des Islam in Deutschland. Ist er tatsächlich als Bedrohung anzusehen?
Nein, das Bedrohungsszenario ist ein ideologisches Konstrukt. Dass die Angst vor dem Islam gerade in Sachsen so stark ist, obwohl der Anteil der Muslime unter einem halben Prozent liegt, erscheint auf den ersten Blick zwar merkwürdig. Doch Vorurteile sind ideologie- und nicht realitätsbezogen. So wie man keine Juden benötigt, um Antisemit zu sein, braucht man auch keine Muslime, um den Islam abzulehnen. Man würde sich leichter tun, das Problem der Islamfeindschaft zu verstehen, wenn man sich nicht weigern würde, antijüdische und antiislamische Ressentiments auf der gleichen strukturellen Ebene zu behandeln. Aus meiner Forschung zum christlichen Antijudaismus weiß ich nur zu gut, dass sich religiöse Vorurteile auch in einem säkularen Umfeld zu behaupten wissen.
Ist also der Antiislamismus ein gewandelter Antijudaismus?
Ganz eindeutig ja. Die parallele Struktur ist derart auffällig, dass für mich kein Zweifel daran besteht. Der Vorwurf zivilisatorischer Rückständigkeit gehört ebenso wie das Streben nach Weltherrschaft zum Arsenal antijüdischer Standardargumente. Die Auflistung möglichst inhumaner Koranzitate entspricht exakt den früheren Talmudauszügen, mit denen der abscheuliche Charakter der Juden bewiesen werden sollte. Auch der aktivistische Zug, etwas gegen eine derart schlimme Religion tun zu müssen, hat sich ungebrochen erhalten. Dass der Islam gar keine Religion, sondern eine Ideologie zur Durchsetzung politischer Interessen sei, wurde früher auch vom Judentum behauptet.
Welche Parallelen sehen Sie noch?
Auch von Islamfeinden wird die »Humanitätsduselei« fremdgesteuerter Politiker kritisiert, die das Überhandnehmen islamischer Einflüsse entweder nicht sehen wollen, oder ihm aktiv Vorschub leisten. So wie die »Judenpresse« durch eine kleine Wortänderung zur »Lügenpresse« wurde, ließen sich viele andere Beispiele anführen, die den nahtlosen Übergang von antijüdischen zu antiislamischen Ressentiments belegen.
Gibt es dennoch eine legitime Islamkritik?
Natürlich, jede Religion kann und soll kritisiert werden. Die legitime Islamkritik unterscheidet sich von der illegitimen als erstes dadurch, dass sie auf Fakten und nicht auf Fiktionen Bezug nimmt. Sie sollte sach- und nicht ideologieorientiert sein und den Unterschied zwischen einer seriösen und unseriösen Verallgemeinerung kennen. Von Einzelfällen auf das Ganze zu schließen, ist auch bei anderen Religionen nicht statthaft.
Was könnte ein Gegenmittel sein. Braucht es mehr Bildung und Aufklärung?
Positive Erfahrungen helfen meines Erachtens am meisten, um Minderheiten gegen Diskriminierung zu schützen. Wer Vorurteile gegen Muslime hat, neigt auch zu Vorurteilen gegen Juden, Homosexuelle und gesellschaftliche Außenseiter. Die Imprägnierung dagegen ist umso erfolgreicher, je früher sie einsetzt. Schule und Elternhaus stehen hier in der besonderen Verantwortung. Dass rechtspopulistisches Gedankengut in Sachsen auf einen fruchtbaren Boden fällt, hat auch mit vielen Jahren verfehlter Bildungspolitik zu tun. Die Haltung der Kirche in der Islamfrage sehe ich dagegen durchaus positiv. Gerade die Kräfte der gesellschaftlichen Mitte sind notwendig, um der Ausbreitung von Intoleranz und Fanatismus entgegenzuwirken.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.