Wenn man eine solche Landschaft als Mahnmal in die Mitte einer Stadt pflanzt, muss man damit leben, dass die Menschen einfach was draus machen. Vielleicht muss man bei der künftigen Gestaltung von Mahnmalen / Denkmalen einfach überlegen, wie abstrakt sie sein sollten, wenn man dann doch das instinktiv richtige Benehmen einfordert. Und natürlich auch, ob man jede Geste und jede Bewegung, die dort vollführt wird, auf die Goldwaage legen sollte. Das ist immer eine Gratwanderung.
Ich habe mir das Mahnmal einmal angesehen - ich fand es beeindruckend. Und geschmacklose Selfies habe ich in Buchenwald auch schon erlebt - am Lagertor mit Spruchband und fröhlichem Grinsen.... Aber wer weiß schon, ob für manche nicht auch dort gilt, dass ein Mensch nur sieht, "was vor Augen ist...."
Einen Tag vor dem Holocaust-Gedenktag beendete der Künstler Shahak Shapira sein Projekt "Yolocaust". Es habe gezeigt: 72 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ist die Frage, wie der NS-Opfer angemessen gedacht werden kann, immer noch aktuell.
Am 18. Januar veröffentlichte der jüdische Künstler Shahak Shapira die Internetseite "Yolocaust.de". Auf der Seite kombinierte er Selfies aus dem Holocaust-Mahnmal mit historischem Bildmaterial aus Vernichtungslagern.
Da gab es dieses Foto mit dem Mann, der kniend zwischen den Stelen mit pinken Bällen jonglierte. Oder der, der von einer Stele auf die andere hüpfte und das Bild "Jumping on dead Jews @ Holocaust Memorial" nannte und dessen reumütige E-Mail Shapira jetzt dokumentiert. Fast alle, dessen Selfies er verwendete, hätten "die Botschaft verstanden, sich entschuldigt und entschieden, ihre Selfies von ihren Facebook- oder Instagram-Profilen zu löschen", schreibt Shapira, der in Israel geboren ist und in Berlin lebt. Daraufhin hat der Künstler nun auch alle Fotos von seiner Seite entfernt.
Das Projekt funktionierte über die Doppeldeutigkeit der Bilder: Ließ man die Maus dann über die Bilder gleiten, verschwanden die charakteristischen Stelen im Hintergrund, die Fotos wechselten von farbig zu schwarz-weiß und wurden mit historischen Aufnahmen unterlegt. Dadurch entstanden neue Bilder mit kritischem Kontext: Wer vorher noch zwischen Stelen jongliert hatte, tat es jetzt in Gräben mit Leichen oder stand keck lächelnd in einem Leichenberg.
Mit der Aktion habe er "unsere Erinnerungskultur" hinterfragen wollen, schreibt Shapira. Die Methode war drastisch – war sie auch angemessen?
Für den Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker, ist "Yolocaust" eine "pointierte Kritik am Fehlverhalten von einzelnen", stelle aber auch einen "Missbrauch von historischen Fotos dar". Es gebe ganz bewusst einen Interpretationsspielraum, wie man sich an dem Gedenkort, den täglich mehrere Tausend Menschen besuchten, zu verhalten habe, erklärt die Pressesprecherin Sarah Friedrich weiter. Doch das Denkmal sei ein großes begehbares Kunstwerk, kein Friedhof. "Wir wollen nicht kontrollieren, wie Besucher Fotos machen". Im Allgemeinen sei das Verhalten im Stelenfeld würdevoll. "Wir freuen uns, dass junge Leute zu uns kommen". Diese eigneten sich ihre Umgebung eben auch mit Selfies an.
Auch der streitbare Autor Henryk M. Broder konnte dem Projekt nichts abgewinnen: "Was sollen die Leute im Mahnmal denn sonst machen?", fragt er. Es sei vollkommen richtig, wenn Besucher dort Rollschuh führen oder im Sommer Pärchen knutschten. "So kommt Leben in diese makabre Steinwüste." Broder hat sich immer wieder gegen das Denkmal und seinen Bau ausgesprochen.
"Yolocaust" sei "Holocaust-Kitsch", sagt er. Die Leute tanzten eben nicht auf Toten - wie von Shapira durch die Fotomontage herbeiphantasiert, sondern auf einem öffentlichen Besichtigungsort. Und der sei eben eher "Rummelplatz" als Gedenkort. Wenn den Leuten wirklich etwas am Gedenken an den Holocaust läge, dann würden sie sich die festgefahrene Iran-Politik Deutschlands angucken. "Sie würden versuchen, etwas gegen die nächste Endlösung zu unternehmen statt die letzte zu bejammern". Seit Jahren schreibt Broder an gegen die deutsche Verhandlungsbereitschaft mit dem Iran, der Israel immer wieder mit Angriffen und Vernichtung droht.
Zustimmung oder Ablehnung – das Projekt bewegte sich zwischen diesen Polen. Die Reaktionen zeigen, dass die Frage, wie angemessenes Gedenken aussehen kann, immer noch aktuell ist. Für Shapira jedenfalls war es erfolgreich: "Darüber hinaus habe ich tonnenweise großartige Rückmeldungen erhalten: von Holocaust-Forschern und ehemaligen Mitarbeitern des Mahnmals, von Menschen, die im Holocaust ihre Familie verloren haben, Lehrern, die das Projekt im Schulunterricht behandeln wollen."
Lesen Sie mehr dazu im SONNTAG:
https://www.sonntag-sachsen.de/2017/04/die-last-der-erinnerung
https://www.sonntag-sachsen.de/2017/04/glauben-trotz-auschwitz
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