An den Frieden glauben
Sommerinterview: Liedermacher Gerhard Schöne über das Leben im (Un-)Ruhestand, neue Lieder, die Corona-Krise, seine Hoffnungen und die Schwierigkeit, sich heute als Pazifist zu erkennen zu geben.Gerhard Schöne, die Sommerferien sind vorbei. Was nehmen Sie aus Ihren Urlaubstagen mit?
Gerhard Schöne: Ich war an der Ostsee unterwegs und habe unter anderem in Zingst und Born Lesungen und Konzerte für Erwachsene und Kinder gegeben. Ich hatte ein dickes Buch „Kurzgeschichten aus alle Welt“ mit Beiträgen ausgezeichneter Autoren dabei. Diese kleine Form bevorzuge ich aus Zeitgründen, weil ich oft nicht hintereinander weg lesen kann. Außerdem sind ja auch Liedtexte kleine, kompakte Formen.
Wie starten Sie in diesen Herbst?
Außer Auftritten, die schon feststehen, gibt es wenige neue Vorhaben. Ende September habe ich zugesagt, auf der Wartburg in einer Veranstaltungsreihe „LebeWorte – Prominente und ihre Bibelverse“ einen Abend zu gestalten. Anlass ist Luthers Übersetzung des Neuen Testaments vor 500 Jahren auf der Wartburg. Jesus sagte „Lasset die Kinder zu mir kommen“. Ich will darüber nachdenken, was uns an Kindern inspiriert. Seit reichlich einem Jahr sind meine Frau und ich „Bereitschafts-Pflegeeltern“. Das war in den vergangenen Monaten für die ganze Familie mitunter sehr anstrengend. Wir mussten auch aufpassen, dass die eigenen Kinder nicht zu kurz kommen. Insofern haben wir alle die großen Ferien als Pause genossen. Mit dem neuen Schuljahr könnte es sein, dass wir wieder gebraucht werden. Es ist möglich, dass das Jugendamt anruft und wir innerhalb einer Stunde wieder ein Kind in Obhut nehmen, dem wir uns dann als ganze Familie widmen.
Sie haben Anfang des Jahres runden Geburtstag gefeiert. Für viele ist ein 70. Geburtstag Anlass, zurückzublicken und sich zu überlegen, was sie mit dem Leben "anfangen" könnte. Wie ist das bei Ihnen?
Da meine Frau erheblich jünger ist und vier von unseren fünf Kindern noch zuhause leben, dazu noch die Pflegekinder, kann ich einem geruhsamen Rentendasein gar nicht nachgehen. Ich bin auch nicht der Typ, dem das gefallen würde, aus dem Fenster zu gucken und Falschparker zu melden. Ich würde auch keine Gruppenreisen oder Kreuzfahrten machen wollen. Meinen Beruf verstehe ich als eine Art Berufung. Ich gestalte nach wie vor gerne Konzerte mit anderen Musikern und allein. Manchmal fällt mir längere Zeit nichts Brauchbares ein und ich denke: Womöglich sind meine Felder abgegrast oder andere können das besser? Dann aber kommt es wieder vor, dass ich eine gute Idee für einen Liederzyklus habe oder wenigstens ein einzelnes Lied. Wenn ich mich selber unter Druck setzen würde, käme nichts Gescheites dabei heraus. Deshalb muss ich wie ein Angler warten, dass eine Lied-Idee „anbeißt“. Also, warte ich geduldig auf Momente erneuten Anfangens.
Welche neuen Programme planen Sie? Holen Sie gerade viele Auftritte nach, die in der Corona-Zeit ausfallen mussten?
Meine Agentur „Buschfunk“ ist mit den Veranstaltern im Kontakt. Manche Konzerte mussten leider ersatzlos ausfallen, andere konnte ich nachholen. Konkret plane ich kein neues Programm. Mit einem Kirchenorganisten und einem Saxophonisten habe ich im letzten Jahrzehnt drei verschiedene Programme zusammengestellt und aufgeführt. Das jüngste heißt: „Summen Singen Schreien“ - Lieder nach Psalmen. Mit den beiden spiele ich sehr gern und könnte mir vorstellen, mit ihnen ein weiteres Programm zu gestalten. Mit „L'Art de Passage“, der Band, mit der ich 1988 das Doppelalbum „Du hast es nur noch nicht probiert“ aufgenommen hatte, spiele ich seit letztem Jahr aus Anlass meines 70. Geburtstag etliche Konzerte. Der Titel heißt „Vielleicht wird’s nie wieder so schön“. Es sind Lieder aus mehr als 30 Jahren versammelt.
Wie war das nach langer Corona-Pause, wieder live spielen zu können?
Es war vor allem ein Gefühl der Dankbarkeit, wieder Konzerte geben zu dürfen. Ich weiß, es ist nicht selbstverständlich, gesund zu sein. Es ist ein Geschenk, am Leben zu sein. Es gab schon gefährliche Situationen bei meinen häufigen und lange Autofahrten. Eines meiner jüngeren Lieder „Ich sage Dank“ fasst diese Gedanken in Worte und Töne.
Haben sich die Menschen verändert, die jetzt zu Ihren Konzerten kommen?
Manche sind vielleicht ein wenig vorsichtiger, wenn sie mit Mund- und Nasenschutz kommen und den nicht abnehmen, oder wenn Zuhörer aus Vorsicht nicht mitsingen. Aber dies ist ja aus einem Verantwortungsgefühl heraus begründet. Insgesamt empfinde ich die Situation im Vergleich zu 2021 entspannter. Die Gesellschaft hat gelernt, dass es wichtig war, dieses Virus ernst zu nehmen und auch, dass manche Maßnahmen im Rückblick überzogen waren. Die Verantwortlichen überall auf der Welt mussten lernen, dieser Bedrohung angemessen zu begegnen. Da haben Verschwörungsmythen gar nichts gebracht. Sie haben nur zusätzlich verunsichert. Manchmal erzählten mir Menschen nach einem Konzert von den Belastungen, denen sie ausgesetzt waren, wenn sie ihre alten Eltern nicht besuchen durften zum Beispiel. In meinen Liedern wurden solche Themen von Einsamkeit und Tod nämlich angeschnitten.
Corona hat im ländlichen Raum in Sachsen tiefe Gräben hinterlassen in Arbeitsteams, Nachbarschaften, in Familien, in der politischen Debatte. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Ja, diesen Riss habe ich natürlich auch wahrgenommen. Auch unter Kollegen, Freunden und den Familien meiner Geschwister gab es „vermintes Gelände“, Themen wie „Impfen“, die wir tunlichst gemieden haben. Bei Demos der sogenannten Querdenker wurden Lieder von mir, teils textlich verändert, gespielt. Dagegen habe ich mich gewandt.
Wenn Sie auf die 1980er Jahre blicken und mit und mit heute vergleichen: Sind Kinder heutzutage immer noch begeisterungsfähig bei ihren Konzerten oder müssen Sie da anders agieren, motivieren?
Durch die Medien lernen die Kinder heute kaum meine Lieder kennen. Manchmal lernen sie einzelne Lieder im Kindergarten oder in der Schule, ohne zu wissen, von wem das Lied stammt. In die Konzerte bringen die Eltern ihre Kinder oft einfach deshalb mit, weil sie mit ihren Kindern etwas teilen möchten, was ihnen früher etwas bedeutet hat. Die Eltern sind am meisten motiviert, in die Konzerte zu kommen. Durch den ständigen Medienkonsum fällt es manchen Kindern heute schwer, sich länger als 20 Minuten zu konzentrieren. Wenn optische Gestaltungselemente wie Puppenspiel, Schattenspiel, andere Musiker oder kleine, witzige szenische Darstellungen zum Programm gehören, dann geht das natürlich leichter, als wenn ich allein mit Gitarre spiele.
Ich bin viel Unruhe von zuhause gewohnt. Manche bewundern auch, dass ich so gelassen bleiben kann. Dennoch nehme ich diese Herausforderung immer wieder gerne an. Das erfordert viel Spontanität. Nicht immer geht das gut. Aber zum Glück sitzen ja die Kinder meist zwischen ihren Eltern, die auf unruhige Kinder eingehen.
Blickt man auf die Weltlage, dann ist von Neuanfängen gerade wenig zu sehen, dagegen vieles, was Europa hinter sich zu haben glaubte: Krieg, Aufrüstung, Atomdebatte, Muskelspiele von Despoten.
Ein hoffnungsvoller Neuanfang ist das Umdenken in Klimafragen. Dass es einem einzelnen Menschen, ich meine Greta Thunberg, gelungen ist, wie eine Prophetin in die Köpfe und Herzen der Menschen Bewegung zu bringen, hat mich begeistert. Noch geht es nur zögerlich voran, auch viel zu spät, aber das Problem ist nun allen bewusst. Dass es in anderen Bereichen zurück in die Vergangenheit zu gehen scheint, beunruhigt mich. So war es, als im Bundestag bei der Ankündigung des „Sondervermögens“ von 100 Milliarden Euro fast alle aufsprangen, enthusiastisch klatschten und gar nicht wieder aufhören wollten zu applaudieren. Militärkritik wagt ja kaum jemand zu äußern. Es schlägt ihnen meist hysterische Empörung entgegen und in Talkshows kommen sie kaum zu Wort.
Wie geht es Ihnen als einstigem Bausoldaten und bekennendem Pazifisten bei all den Kriegsnachrichten?
Auch wenn schlimme Nachrichten gesendet werden, möchte ich an das Gute im Menschen glauben. Als nach Angela Merkels Satz „Wir schaffen das!“ unzählige Flüchtende in Deutschland Schutz suchten, hat mich die Hilfe so vieler Menschen beeindruckt. Das wog schwerer, als die fremdenfeindliche Hetze von Pegida. Genau so geht es mir angesichts der überwältigenden Hilfsbereitschaft gegenüber den Menschen in der Ukraine und denen, die in unserem Land Schutz suchen. Das sind doch ermutigende Beispiele von Solidarität und Nächstenliebe in allen Schichten der Bevölkerung. Da Nachrichten, besonders in Krisen- und Kriegszeiten oft tendenziell sind, glaube ich nicht alles und verhalte mich der Berichterstattung gegenüber skeptisch. Je nachdem, aus welcher Richtung sie kommen, überlege ich welche Ziele sie womöglich verfolgen.
Wie schwer ist es für Sie, Pazifist zu sein und zu bleiben?
Sich derzeit als Pazifist zu outen, bringt einem wenig Verständnis entgegen. Manche finden meine Einstellung unreif, weltfremd oder unzeitgemäß. Manche versuchen mich zu belehren oder belächeln mich. Wenn ich jedoch bedenke, dass das vor und während der beiden Weltkriege ebenso war, dass Pazifisten als 'Vaterlandsverräter' bezeichnet wurden und unter den Nazis um ihr Leben fürchten mussten, dann kann es nicht falsch sein, Menschen wie Kurt Tucholsky, Erich-Maria Remarque, Rosa Luxemburg, Erich Kästner oder Carl von Ossietzky in der Gesinnung zu folgen. Es geht ja nicht darum, vor den Kriegsverbrechen Putins die Augen zu verschließen und mit Peace-Fähnchen zu winken. Aber beinahe reflexartig nach stärkeren Waffen, mehr Rüstungsausgaben, Vergeltung, maximaler Schwächung Russlands zu streben, wird kaum aus dem Konflikt herausführen, sondern ihn eher vertiefen. In vielen Fernsehbeiträgen, die ich sah, wurde behauptet, Putin kenne nur die Sprache der Gewalt und der Stärke, deshalb müsse man ihm in genau dieser Sprache antworten, anstatt andere Lösungskonzepte zu fördern.
Welche Konzepte wären denn das?
Etwa Verweigerer auf beiden Seiten zu unterstützen, internationale Thinktanks zu organisieren, die nach friedlichen Lösungen suchen. Als sich der ukrainische Botschafter gegen ein Konzert wandte, bei dem junge Russen mitmusizieren sollten, gab der Bundespräsident nach. Das Konzert lief nicht in der geplanten Weise. Ich denke, genau das Gegenteil wäre sinnvoll: Konzerte wären vorbildhaft, bei denen ukrainische und russische Musiker miteinander Musik machen. In der Vergangenheit gab es so etwas, als israelische und palästinensische Musiker miteinander spielten, genauso während des Balkankrieges. Da musizierten Künstler der verfeindeten Lager miteinander. Das waren symbolhafte Zeichen, die dem Anliegen des Friedens mehr halfen, als Abschottung und Verteufelung des Gegners.
Wie schlagen sich die Krisen und Kriege unserer Zeit künstlerisch in Ihren Werken nieder?
Während der Lockdowns 2020 und 2021 habe ich damit begonnen, zuhause kleine Filme zu drehen und auf YouTube hochzuladen. Das waren Kinderlieder in und vor einem Spielhäuschen im Garten und Lieder für Erwachsene, die ich auf einer improvisierten Bühne unseres Dachbodens oder unter freiem Himmel gestaltete. Es war manches laienhaft, hat aber großen Spaß gemacht. Mein Anliegen war, jedes Lied optisch ein wenig anders zu gestalten.
Seit Ende April habe ich aus meinem Repertoire Friedens- und Antikriegslieder aufgenommen und hochgeladen. Das am häufigsten geklickte Lied heißt „Fridas Brief an Putin“. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hatte ein zehnjähriges Mädchen aus den USA, Samantha Smith, dem damals neu gewählten sowjetischen Generalsekretär der KPdSU, Jurij Andropow, einen Brief geschrieben, in dem sie ihre Sorgen angesichts der Atomwaffen auf beiden Seiten beschrieb. Andropow antwortete ihr und lud sie in die UdSSR ein. Was manche als Propagandashow abtaten, war in Wirklichkeit ein hoffnungsstarkes Symbol des Friedenswunsches auf beiden Seiten. Gerade jungen Menschen, wie auch Malala Yousafzai, Severn Suzuki und Greta Thunberg, gelang es in der Vergangenheit, die verhärteten Herzen der Erwachsenen zu beeinflussen. Deshalb habe ich nach diesem Vorbild das Mädchen Frida erfunden, das an Putin schreibt und ihm eine radikale Umkehr schmackhaft machen will.
Auch zu DDR-Zeiten schlugen sich Krisen und Kriegsgefahr in meinen Liedern nieder. „Lieber Feind in der Ferne!“, „Gesprengter Bunker“, „Es ist Zeit“ und „Wohl denen, die da wagen ein Nein zur rechten Zeit“ sind Beispiele dafür. Später, während des Golfkriegs, als brennende Ölfelder die Sonne verdunkelten und sich die Welt vor der Ausweitung zu einem neuen Weltkrieg fürchtete, entstand ein Weltuntergangslied, das die Einmaligkeit und Schönheit unseres blauen Planeten der möglichen Verwüstung und Auslöschung gegenüberstellt. Es heißt „Wer soll über Charly Chaplin lachen?“ Ich frage mich: Was kann ich mit meinen Möglichkeiten zur Friedenserziehung oder zur Lebensbejahung beitragen? Und ich wünsche mir, dass mehr Menschen dringend bewusst wird, dass wir gar nicht mehr viel Zeit haben. Die wirkliche Welt ist von verschiedenen Seiten bedroht, egal, wohin man guckt. Menschliche Klugheit ist nötig, um Konflikte zu überwinden und Klimafolgen zu bewältigen. Wir sollten die Zeit nicht mit Kriegen verschwenden.
Was macht Ihnen Hoffnung, dass das gelingen kann?
Hoffnung macht mir, dass ich mit meiner Haltung nicht allein bin. Es gibt Menschen, die klüger, konsequenter und kompetenter sind, als ich. Gott hat jedem Menschen eine Art Kompass für „Gut und Böse“ mitgegeben. Der Kompass wird manchmal gestört, abgelenkt oder kaputtgemacht. Das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ gibt es in ähnlicher Form in jeder Religion. Jesu Bergpredigt mit der Seligpreisung der Friedfertigen und das Gebot der Feindesliebe geht noch darüber hinaus. Es stärkt und bestätigt meinen Glauben, in diesem Geiste Jesu an einer friedlicheren Welt zu arbeiten, anstatt im Geist der Abschreckung, der Aufrüstung und militärischen Stärke.
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