Gott und das Virus
Corona: Die Pandemie ist auch eine Herausforderung für die Frage nach Gott. Wie können Leid, Natur und das Göttliche zusammengedacht werden? Theologen versuchen verschiedene Antworten – vom »Selbstrückzug« bis zur »Selbstdurchsetzung« Gottes.Nach den Virologen kommen die Theologen. Mit dem Abflauen der Pandemie steht nun verstärkt die Frage im Raum, was denn nun Gott mit dem Virus SARS-CoV-2 zu tun hat. Darauf geben Theologen unterschiedliche Antworten.
Der Freiburger Theologieprofessor Magnus Striet fragt in seinem Buch »Theologie im Zeichen der Corona-Pandemie«: »Ist Gott grausam? Hätte Gott in seiner Allmacht nicht verhindern können, dass ein Virus von einem nichtmenschlichen Lebewesen auf den Menschen überspringt?« Striet will keine einfachen Antworten gelten lassen und stellt nüchtern fest: »Kein Bittgebet, keine Prozession wird den Ausbruch des Virus eindämmen.« Und: »Gott greift nicht ein, jedenfalls nicht durch Wunder.« Bei der Frage nach Gottes Eingreifen oder Wirken in der Welt müsse mit bedacht werden, dass Gott sich zugunsten menschlicher Freiheit selbst zurückgenommen habe. Damit obliege die Naturgestaltung und auch die Virusbekämpfung allein dem Menschen. Dies sei auch theologisch zu akzeptieren, so Striet, der die alte jüdische Vorstellung vom Selbstrückzug Gottes aus der Welt vertritt: dass Gott sich in absoluter Freiheit zum Selbstrückzug entschlossen und damit der Welt ihren Raum geschaffen habe. Gott habe »durch Selbstkontraktion einem expandierenden Universum Raum gegeben«, so Striet. Gott sei dann so zu denken, »dass er zwar Grund von allem und alles bleibend auf ihn bezogen ist, aber er nicht identisch mit diesem ist«. Deshalb gebe es laut Striet keine Alternative zu der Erkenntnis Dietrich Bonhoeffers, dass wir lernen müssten, in der Welt ohne Gott zu leben – und das vor Gott. Dem Menschen obliegt damit gewissermaßen der Auftrag, das von Gott Kommende im Diesseits wirksam zu machen.
Striet fragt: Warum gibt es Pandemien? Und antwortet: »Weil Gott eine Welt wollte und sich dazu bestimmt hat, nicht noch einmal in ihre Prozesse und sich entwickelnden Gesetzmäßigkeiten einzugreifen.« Statt mit machtvollem Eingreifen Gottes zu rechnen, das sofort die Frage des Nicht-Eingreifens Gottes nach sich zieht, meint Striet: »Ich rechne lieber mit einem Gott, der gewartet hat – und der immer bereits dazu entschieden war, sich dem Leben so zuzuwenden, wie er sich ihm zuwenden kann, und das heißt: einem ihm Ebenbildlichen in einer Weise, die radikaler und riskanter auch für ihn selbst nicht sein könnte.« Christlicher Glaube gehe davon aus, dass Gott Fleisch geworden ist. Und das bedeutet: »Dieser Gott hat die Pest nicht verhindert, sondern hat darauf vertraut, dass der Mensch diese Geißel der Menschheit in den Griff bekommen würde.« Wer diesem Gott glauben könne, dürfe darauf hoffen, dass nicht die Biologie das letzte Wort über ihn und seine Sinnbedürfnisse habe.
Der Bochumer Theologieprofessor Günter Thomas verteidigt in seinem Buch »Im Weltabenteuer Gottes leben« vehement die Vorstellung vom lebendigen Gott. Für ihn ist das Leben der Welt Gottes Abenteuer. »In diesem Abenteuer lebt Gott mit. Darum ist die Geschichte ein sich entfaltendes Drama, in dem Gott lernt und reagiert, empfindet und wahrnimmt, interveniert und letztlich doch – auch angesichts der Widerstände und gegen Widerstände – seine Aspirationen (lat.: Aushauchungen, Anm. d. Red.) zu verwirklichen sucht.« Christliches Leben sei das »Einbezogensein in das Lernen Gottes«; Christen lassen sich zu »Medien des Geistes Gottes« machen. In Gottes Weltabenteuer hofft und vertraut Gott den Menschen und ist im Glauben, Lieben und Hoffen präsent.
Christen hoffen dabei auf eine »Selbstdurchsetzung Gottes«, darauf, »dass sie jenseits ihrer Möglichkeiten überrascht und produktiv verstört« werden. Es gelte, radikal auf die Lebendigkeit Gottes zu hoffen – wie ein Kind –, »dass das Weltabenteuer Gottes letztendlich die Menschenfreundlichkeit Gottes verwirklicht«. Dabei verteidigt Thomas die Vorstellung Gottes als eines handelnden Akteurs. Christen warten auf »die unleugbare und unaufhaltbare universale Durchsetzung der Wirklichkeit der Auferstehung, mit der auch die Erlösung von dem Bösen einhergeht«. In der spannungsreichen Zeit zwischen Versöhnung und Erlösung der Welt gelte es, Glaube, Hoffnung und Liebe auszubreiten und sich auf diese Weise vom Geist Gottes in Anspruch nehmen zu lassen. Das heißt: In dieser Welt leben Christen so, »als gäbe es Gott, den lebendigen Gott« – und sie verstehen sich als Partner Gottes im Werk der Versöhnung der Welt.
Für den Umgang mit Leiden bedeutet das: »Im Weltenbau eines guten Lebens beteiligen sich Menschen an der Chaosüberwindung des Schöpfers. (…) Christen kämpfen in der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus darum, dass die Einheit von Leben und Tod wirklich zugunsten des Lebens ist.« Zum Weltabenteuer gehöre es, dass »beschädigtes und verletzliches Leben mit Interventionen der Rettung vor dem unzeitgemäßen Tod bewahrt (wird)«.
Und doch liege die Rettung der Welt in Gottes Händen. Radikale Hoffnung sei die Hoffnung auf »Gottes barmherzige Rettung der Geschichte«. Alles komme darauf an, zu beten, das Gerechte zu tun und und auf Gottes Zeit zu warten (Bonhoeffer). Die Kirche lebe von dem Versprechen aus Psalm 50,3: »Unser Gott kommt und schweiget nicht.«
Buchhinweise:
Magnus Striet: Theologie im Zeichen der Corona-Pandemie. Grünewald Verlag.
Günter Thomas: Im Weltabenteuer Gottes leben. Evangelische Verlagsanstalt.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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