Rückwege zur Liebe
Literatur: In ihrer Kamenzer Rede beschwört die Schriftstellerin Angela Krauß den Wert der Begegnung. Die Moderne droht, zu Erstarrungen zu führen. Als Gegenmittel sieht sie: die Liebe.Erweisen sich bisherige Sicherheiten als trügerisch, wo wäre dann auf neue, wirklich eigene Art Halt zu finden? In dieser Frage ließe sich bündeln, was Angela Krauß bewegt. Womit sie uns verunsichert und ansteckt. Etwa in ihrem jüngsten Buch »Das Weltgebäude muss errichtet werden«, das im Frühjahr erschienen ist (siehe Kasten). Am 25. Oktober soll die Schriftstellerin, die in Chemnitz geboren ist und in Leipzig lebt, mit dem Sächsischen Literaturpreis geehrt werden. Am vergangenen Donnerstag hat sie in ihrer »Kamenzer Rede« in der Klosterkirche St. Annen Auskunft gegeben über das Dilemma ihres Berufes – und größte Fragen gestellt wie diese: »Wo ist eigentlich Wahrheit in unserem zerrissenen Dasein, jetzt?« Dabei hat sie dazu ermuntert, sich nicht nur des analytisch zergliedernden Verstandes zu bedienen, sondern auch des erkennenden Herzens.
Elend und Lust ihrer Profession fasst sie zusammen in einem Widerspruch: für das Erleben vagen, pulsierenden Lebens Worte zu finden, finden zu müssen. Die aber bedeuten Erstarrung: »Die Formulierung verkleinert die Welt. Ohne Formulierung jedoch ist die Welt nicht ertragbar.« Das wiegt besonders schwer wegen ihrer unverwechselbaren Art, ohne das Gerüst einer Handlung zu erzählen. Als Poetin versteht sie sich, eine, die ihrem »vergeistigten Herzen« folgt. »Ich betrachte meine Prosa als Gedichte«, betonte sie im anschließenden Gespräch.
In diesem Widerspruch sieht sie uns alle. Jeder bewege sich zwischen Wissen, Verstand mit dessen lebloser Objektivierung auf der einen, Gefühl mit seiner trügerischen Unmittelbarkeit auf der anderen Seite, zwischen »Aufklärung und Verklärung« – so der Titel ihrer Rede. Auf der einen Seite steht etwas von uns als Aufklärer, auf der anderen etwas als Romantiker. Romantiker seien wir als Kinder gewesen, sagt sie, ehe wir in die Schule des Verstandes eintraten, wo Vernunft und Analyse das Steuer zur Orientierung in der Welt übernahmen.
Eine entscheidende Rolle spielt das in ihren Augen für die Art, wie wir unsere Mitmenschen betrachten. Überall hat sich das Digitale dazwischengeschoben, diese extreme Materialisierung technischer Vernunft, gipfelnd in der jüngsten Erfindung: Künstliche Intelligenz (KI). Dabei ist es entbehrlich in dem, worauf es ankommt: Eines vor uns stehenden Menschen nicht nur ansichtig, sondern »anfühlig« zu werden – das Ereignis, Erlebnis der Begegnung. Unser Gegenüber zu erfassen und zu erkennen, dafür seien alle begabt, ganz ohne digitale Geräte: »Wir waren nie anwesender als in der prädigitalen Ära, wir waren dauerhaft online in einem Netz, das alle Lebewesen miteinander verbindet, in dem alle lesen, egal, welche Sprache sie sprechen.«
Entscheidend ist für sie geblieben, Menschen nicht in Kategorien zu sortieren, als Teil einer Gruppe, mit den Schablonen einer Ideologie wahrzunehmen, sondern als Einzelmenschen. Was uns dazu befähigt, bezeichnet sie mit einem großen Wort: Liebe. Es ist das Zentrum auch des christlichen Verhältnisses zum Anderen. Das schwingt mit bei ihr. Doch spricht sie davon ganz ohne frommes Fertigteil-Vokabular. Eine Poetin, die im ungesicherten Grenzgebiet zwischen Welt und einem über sie hinausgehenden größeren Zusammenhang unterwegs ist.
Rückhaltlos bekennt sie sich zu einer Liebe, die Ideologien durchdringt, provokativ ist, gegen den Strom von Zeitgeist und »correctness« schwimmen kann. »Nur die Liebe ist in der Lage, den Einzelnen vom Makel seiner Umwelt, von dem er immer gezeichnet scheint, zu erlösen und ihm seine Möglichkeiten, er selbst zu sein, zurückzugeben.« Dort zeigt sich ihr die eigentliche Wahrheit: »wo den Meinungsblöcken, hinter denen wir uns verbarrikadieren, ein x-beliebiges Individuum absichtslos entgegentritt«. Ebendiese Perspektive aber öffnet die Literatur. Schriftsteller besitzen das Talent, »Weltgeschichte an der Geschichte eines einzelnen Menschen wahrzunehmen«. Ihre eigene Befähigung wie auch Gefährdung fasst Krauß so zusammen: „Immer wenn mir ein lebendiger Mensch gegenübertritt, vergesse ich alles, was ich gelernt habe.“ Dies könnte die Art Unsicherheit sein, in der es zu leben gälte. In einer Wahrheit, nicht zu greifen, der man sich nur nähern, die man allenfalls behutsam berühren kann.
Inneren Halt finden – das neue Buch von A. Krauß |
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Die Veränderungen der Welt in ihrer unerbittlichen Rasanz überfordern uns. Wir müssen uns verabschieden von einstigen, womöglich trügeri- schen Sicherheiten. Angela Krauß gelingt das in ihrem neuen Buch »Das Weltgebäude muss errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen« (Suhrkamp-Verlag). An ihrer Stelle errichtet sie ein Weltgebäude anderer Art, nicht fest zementiert. Eines der Gedanken, der Imagination, das wir überall hin mitnehmen können in die unsichere Zukunft. Es haust uns nicht ein, sondern bietet von innen her Stabilität, die sich nie zur Starrheit verfestigt. Sich hineinzubegeben in diese Existenz, bezeichnet sie als »Daseinsverwandlung«. Ihr Text mischt Erinnerungsbruchstücke an eine Kindheit im Erzgebirge, poetische Beobachtungen und philosophische Gedanken zu einem ungewöhnlichen Sprachgebilde. Man könnte, schlägt eine »Tänzerin« genannte Figur darin vor, jeden Augenblick zu einem möglichen Anfang erklären. Zentral ist die Begegnung. »Ich will das Du!«, ruft die Erzählerin einmal. Als »Kopf hoch« lässt sich das Ende lesen: Gekrönt wird ihr Gebäude von einer Sternwarte. (tg) |
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