Hat die DDR-Kirche versagt?
Nicht vergangen: Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) bittet um Vergebung für ihre Schuld in der DDR – in Sachsen wird das anders gesehen. Zu Recht?
Auf das Wort »Buße« hat die Kirche ein Monopol. Doch wendet sie es einmal an, sorgt es vor allem für eines: Erstaunen. So geschehen zur Herbstsynode der EKM am Buß- und Bettag 2017 in Erfurt. »Wir beklagen, dem SED-Staat nicht klarer und kompromissloser entgegengetreten zu sein«, erklärt der Landeskirchenrat der EKM in einem öffentlichen Bußwort (siehe Seite 3).
Ein verhaltenes Echo darauf gab es in der sächsischen Nachbarlandeskirche. »Ich habe mich darüber gewundert. Ich wüsste nicht, dass es Anlass gibt für ein Bußwort«, sagt der frühere sächsische Landesbischof Volker Kreß mit Blick auf seine Kirche in der DDR-Zeit. »Ich konnte es nicht glauben«, meint dagegen der frühere Leipziger Bürgerrechtler Rainer Müller. »Aber besser jetzt als nie.«
Unmittelbar nach 1989 hatte die sächsische Landeskirche eine Arbeitsgruppe mit der Untersuchung ihrer Rolle in der DDR beauftragt. »Sie ist nach ehrlichem Ringen zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die sächsische Landeskirche ziemlich wacker geschlagen hat«, bilanziert Volker Kreß, der damals als Oberlandeskirchenrat in der Kommission mitarbeitete. Auch Kirchenhistoriker wie der Dresdner Professor Gerhard Lindemann sehen die Verdienste der evangelischen Kirche in der DDR: Sie habe mitten in der Diktatur einen Raum für Demokratie, freie Debatten und oppositionelle Gruppen bewahrt, in denen Wurzeln der Friedlichen Revolution wuchsen.
»Und dennoch ist ein Bußwort auch für die sächsische Landeskirche notwendig«, meint der Kirchenhistoriker. Denn: »Es gab Disziplinierungen und Drohungen gegenüber politisch unbequemen Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern und wiederholte Behinderungen der Arbeit von Bürgerrechtsgruppen durch kirchliche Leitungsorgane und Amtsträger.« Ein Beispiel dafür seien die Leipziger Friedensgebete in der Nikolaikirche.
Rainer Müller war dabei, als den Basisgruppen um Pfarrer Christoph Wonneberger im August 1988 vom Superintendenten die eigenständige Gestaltung der Friedensgebete untersagt wurde. Der damalige Theologiestudent kannte so etwas schon aus seiner Heimatgemeinde in Borna. Als er dort mit anderen jungen Christen eine Umweltgruppe gründen wollte, habe sie der örtliche Pfarrer sofort eingeschränkt. »Ich empfand es immer als Frechheit, wenn die Kirchenoberen meinten, wir würden nur das Schutzdach der Kirche suchen«, sagt Müller. »Für uns war das gelebtes Christentum.«
Das mit dem Schutzdach verstanden einige kirchliche Amtsträger wie Volker Kreß, damals Superintendent in Bautzen, durchaus auch als ihren Beitrag. »Die Kirche hat ein Schild gehalten und die Pfeile abgefangen für die vorpreschenden jungen Leute und sie so gut wie sie es konnte geschützt.« Mehr als einmal habe er sich etwa bei staatlichen Stellen für Schüler eingesetzt, die durch den »Schwerter zu Pflugscharen«-Aufnäher unter Druck geraten waren.
Rainer Müller und andere Oppositionelle, die am Theologischen Seminar Leipzig studierten, fühlten sich indes von ihrer Landeskirche unter Druck gesetzt. Ein Oberlandeskirchenrat habe ihm im August 1989 mitgeteilt: »Ich verspreche Ihnen, dass ich mich dafür einsetze, dass Sie nicht wieder Theologie studieren werden«, erinnert sich Müller, der heute als freiberuflicher Historiker arbeitet. Begründung: seine »staatsfeindliche Einstellung« und »unverantwortliche Haltung zur Atomenergie«. Kurz vorher hatte er den Plan eines Kernkraftwerks in der Dahlener Heide öffentlich gemacht. Der SED-Staat und seine Stasi wussten die innerkirchliche Differenzen zu fördern.
»Ein Wort der Buße der Landeskirche wäre befreiend für alle Beteiligten«, sagt Müller. »Um diese Last und Schuld einmal loszukriegen. Und auch, um zu sehen, welche Menschen heute unter die Räuber gefallen sind – und was wir als Kirche für sie tun müssen.«
Teilnehmer: 103
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.