Befiehl du deine Wege
Vertrauen: Der Schulanfang sollte wie alle Wegstrecken im Leben in Gottes Hand gelegt werden. Paul Gerhardts Lied hilft zu vertrauen – trotz allem.
Das Bild des Weges, des behüteten, hat in allen Zeiten unterschiedliche innere Bilder bei den singenden Menschen hervorgerufen. Paul Gerhardt geht in seinem Lied »Befiehl du deine Wege« von einer gütigen Vorsorge Gottes aus, von einem demütigen Blick auf das eigene Leben, auf das Scheitern, auf Schicksalsschläge, auf Steilhänge, auf unwegsames Gebiet, auf Abgründe. Demütig hinnehmend ist seine Lebenshaltung mit einer poetischen Sogwirkung von Geborgenheit: »Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege, des, der den Himmel lenkt.«
Mit seinem Lied will Paul Gerhardt trösten, er verwendet Worte, die eine gesicherte Strecke versprechen: »Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.« Denn, so argumentiert das Lied, wenn unser Gott schon den Lauf der Natur im Griff hat, um wie viel mehr zeichnet er das Leben seiner geliebten Menschen auf, damit ihnen alles zum Besten diene.
Paul Gerhardt hatte die Pest vor Augen und einen expandierenden Religionskrieg, der einen ganzen Kontinent zum Erliegen brachte. Es ist nicht anzunehmen, dass sein Glaube ihn so »gedopt« hat, dass er die Realitäten seiner erschütterten Erde nicht zur Kenntnis nahm. Teufel waren das für ihn. Der ganz normale Aufstand des Bösen und der Bösen. Etwas, womit man rechnen muss, was zur Welt ganz dazugehört. Für ihn ist das Stichwort des Überlebens im Untergang nicht Resignation, sondern »Hoffnung«, für ihn ist das Stichwort nicht Verzweiflung, sondern Geduld, für ihn ist das Stichwort nicht heroischer Aufstand gegen Gott mit dem Appell, die Welt selbst in die Hand zu nehmen. Sein Ding ist Vertrauen, ohne zu sehen, abwarten – trotz alledem. Denn die Zeit, so glaubt er, arbeitet für Gott und damit für uns.
Wir kennen heute alle Varianten von Verhalten angesichts der Frage nach der ausbleibenden Fürsorge Gottes, wir erlauben sie uns auch, wir fragen nach der Verantwortung, nicht nach der Geduld, wir fragen, wie man Katastrophen verhindern, Krankheiten heilen, Krisen überwinden kann. Es ist richtig so. Es muss aber dieses Trotzdem des Paul Gerhardt, dieses »Befiehl du deine Wege« eine nachhaltige Überzeugungskraft haben, sonst könnten, nein, sonst würden wir ein solches Lied heute nicht mehr singen. Wenn trotz aller Machbarkeit und Verantwortungsübernahme nicht eine große Weisheit in diesem Lebenswanderlied steckte, die Menschheit hätte dieses Lied schnell vergessen. Es steckt darin das tiefe humane Überlebenswissen um die letztliche Unverfügbarkeit unserer Existenz. Dieses Wissen trägt unser Lied durch die Jahrhunderte. Denn Gott hat Zeit, und Gott weiß um das Ende. Ich aber übersehe nur den winzigen Teil der Strecke, die mein kleines Leben ist.
Es gibt einen Lohn fürs Durchhalten. Fürs Kopfhochhalten, fürs Nichtunterkriegenlassen. Fürs Humornichtverlieren. Fürs Geduldhaben. Keinen, den man sehen kann. Der Lohn ist, dass ich sehe, wie das Leiden endet, und dass ich erfahre, dass mein Leiden im Universum Gottes einen Platz hat.
Paul Gerhardt fragt nicht nach dem Sinn des Leidens. Er hat erfahren, dass diese Frage den Fragenden in die Verzweiflung führt. Er fragt nach der Verortung des Leids im Plan Gottes, und er nimmt das Wissen um das Ende des Leidens voraus. Die Hoffnung im Leiden ist das Wissen um dessen Ende. Es gibt ungezählte Menschen, die erfahren haben, dass dieses Wissen um eine letzte Rettung das Gewicht der Welt tragbar macht. Eine davon ist die Dichterin Hilde Domin (1909–2006), sie hat diese Erfahrung in einer Formel zusammengefasst: »Ich setzte den Fuß in die Luft – und sie trug …«
Auszug aus dem Sonntagsblatt-Themenheft »Geh aus, mein Herz. Mit Paul Gerhardt durch die Jahreszeiten«. Bestellbar unter <shop.sonntagsblatt.de>
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.