Zeuge der Hoffnung
Erinnert: Am 11. Dezember vor 80 Jahren ging der Theologe und Dichter Jochen Klepper mit seiner Familie in den Tod – gehetzt und zermürbt vom NS-Terror. In seiner Bedrängnis schuf er große christliche Texte und Lieder. Eine Würdigung.
Vor etwa zwei Jahren musste ich mich ziemlich ärgern. Neu-rechte Kaderideologen hatten versucht, Jochen Klepper zu instrumentalisieren. Ganz neu war dieser Vorstoß nicht. Seit vielen Jahren berufen sich neu-rechte Ideologen zum Beispiel auf Claus Schenk Graf von Stauffenberg, um den Eindruck zu erwecken, ihr Radikalnationalismus habe mit der NS-Diktatur nichts zu tun. Sehr wirkungsvoll gehen seit Jahren evangelikale Gesinnungsgenossen in den USA vor, die Dietrich Bonhoeffer für sich reklamieren. In ihrem Kampf gegen Frauenrechte sehen sie sich in der Nachfolge des bekanntesten deutschen Märtyrers. Und nun auch noch dieser Youtube-Jochen-Klepper-Lese-Abend von zwei Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt. Hat der bedeutendste evangelische Lieddichter des 20. Jahrhunderts, der gemeinsam mit seiner jüdischen Ehefrau und deren Tochter in den Suizid gehen musste, weil es für sie keinen anderen Ausweg aus dem Vernichtungsrassismus der NS-Diktatur gab, das verdient?
Nachdem ich meinen ersten Ärger hinter mir gelassen hatte, fragte ich mich, ob wir evangelischen Christenleute nicht eine gewisse Mitschuld an solchen Vereinnahmungen und Verdrehungen tragen. Denn zum einen müssen wir eingestehen, dass unser normal-kirchliches Gedenken an Stauffenberg, Bonhoeffer, Klepper oder Scholl in der Vergangenheit ebenfalls oft vereinnahmend war: Die Erinnerung wurde geglättet und dienstbar gemacht. Und zum anderen ist ein Erlahmen des Interesses festzustellen. Wenn wir uns aber nicht mehr selbst um unsere Märtyrer kümmern, dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere sie uns wegnehmen. Doch wie kann ein angemessenes Gedenken heute aussehen? Vor Kurzem konnte ich es in der Gemeindekirche von Jochen Klepper in Berlin-Nikolassee erleben. Ich war zum Pfarrkonvent eingeladen, und zur Eröffnung hielt uns der Gemeindepfarrer, der frühere Bürgerrechtler und SPD-Politiker Steffen Reiche die Andacht, in der er uns schlicht und ergreifend die Lebens- und Leidensgeschichte von Klepper erzählte: Wie der Pfarrerssohn zum christlichen Schriftsteller und mit seinem Roman »Der Vater« erfolgreich wurde; wie er an psychosomatischen Krankheiten litt; wie in der NS-Diktatur der Radius für ihn und seine Familie immer enger wurde; wie man dies in seinem Tagebuch »Unter dem Schatten deiner Flügel« nachlesen kann. Der letzte Eintrag im Tagebuch vom 10. Dezember 1942 lautet: »Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.« Nach der Andacht hat uns Steffen Reiche auf den neben der Kirche gelegenen Friedhof geführt. Dort standen wir eine Weile schweigend vor dem Grab der Kleppers.
Wer heute zum ersten Mal dem Werk und auch der Person Jochen Kleppers begegnete, dürfte auch eine gewisse Fremdheit empfinden. Er ist für uns kein unmittelbarer Zeitgenosse mehr. Vielleicht macht ihn das neu interessant. Denn bei ihm kann man erfahren, dass das tiefe Eindringen in die Bibel, das Leben in und mit der Schrift, auch im 20. Jahrhundert noch die Inspiration für große Literatur und unvergängliche Lieder sein konnte. Am liebsten ist mir sein Andachtschoral »Die Nacht ist vorgedrungen«. 1938 hat er es geschrieben, ein Jahr vor Kriegsbeginn. Mich beeindruckt, wie unverstellt der Dichter die menschliche Bosheit benennt und zugleich in der Geburt Jesu Christi eine Tür zur Hoffnung weist. Wahrscheinlich wäre das die beste Art, sein Gedenken unter uns lebendig zu erhalten und gegen freche Zugriffe zu schützen, indem wir heute seine Lieder singen, besonders im Advent: »Die Nacht ist vorgedrungen, / der Tag ist nicht mehr fern! / So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! / Auch wer zur Nacht geweinet, / der stimme froh mit ein. / Der Morgenstern bescheinet / auch deine Angst und Pein.«
Dr. Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter des Rates der EKD.
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