Siebenbürger Lektionen
Begegnung: Die evangelische Jugend Sachsens reiste ins rumänische Siebenbürgen, um den Alltag der dort verbliebenen Christen kennenzulernen. Zeitreise in eine versunkene Welt, die ins Nachdenken führt.Gut gefüllt ist sie, die Margaretenkirche im rumänischen Medias an diesem 31. Juli. Einheimische, Sommersachsen, Gäste aus Deutschland, Radio Bukarest, unsere Gruppe und andere Besucher füllen die Kirche. Ein lustiges Sprach- und Dialektgewirr klingt durcheinander. Freude ist spürbar an diesem Festgottesdienst zum 450. Reformationsjubiläum in Siebenbürgen. Freude darüber, dass die Kirche mal wieder voll ist und dass es sie noch gibt, die Gemeinde der Sachsen in Medias. Noch Mitte der 80er-Jahre saßen sie sonntäglich mit etwa 300 bis 400 Gemeindegliedern zusammen. Nun sind es noch 30 an einem normalen Sonntag – wenn es gut kommt. Wir werden offiziell begrüßt als Gäste aus Sachsen bei den Sachsen in Siebenbürgen. Und auch dass unsere beiden Landeskirchen seit Mai dieses Jahres eine Partnerschaft vertraglich besiegelt haben, wird erwähnt. Durch unseren Besuch und unsere Mitgestaltung des Gottesdienstes, werde diese Partnerschaft gleich mal sehr lebendig mit jungem Leben gefüllt, erklärte der Pfarrer.
Und tatsächlich lässt sich das so sagen. Zwei Wochen lang waren junge Leute aus Siebenbürgen und Jugendliche aus Sachsen und anderen Regionen miteinander in Rumänien unterwegs. Die Jugendlichen aus Rumänien sind größtenteils an Deutschen Schulen. Mitunter ist eines ihrer Elternteile noch deutsch. Unser Quartier ist das Pfarrhaus von Birthälm, direkt am mächtigen Wehr-Ring der Birthälmer Kirchenburg. In einem faszinierenden Ambiente leben wir hier zwei Wochen und fühlen uns in eine andere Zeit versetzt. Jeder Tag ist voller verblüffender Momente und Begegnungen mit Menschen vor Ort. So besuchen wir zum Beispiel Familie Krestel und tauchen in eine andere Welt, die nur wenige Kilometer entfernt ist. Hans Krestel lebt mit seiner Schwester in einem kleinen Dorf namens Seleus. Nur über eine Schotterstraße erreichen wir es. Hans ist einer von wenigen Siebenbürger Sachsen, die in den 80er- und 90er-Jahren nicht ihre Heimat in Richtung Bundesrepublik verlassen haben – einer von fünf Verbliebenen einer einst stolzen großen deutschstämmigen Dorfgemeinschaft, die über Jahrhunderte hier lebte.
Wir treffen Hans Krestel bei seiner Wasserbüffelherde. Kurze Zeit später sitzen wir bei ihm im Garten, trinken Hauswein, Büffelmilch, Quellwasser und essen Büffelkäse, Brot und Gartengemüse. Hans und seine Schwester erzählen uns aus ihrem Leben, aus der Zeit der Kindheit nach dem großen Krieg, der Zeit des Kommunismus und davon, wie sich immer alles veränderte um sie herum. Nur sie sind geblieben. Beide wollten nie weg. Bis heute nicht. Sie waren nie in Deutschland und möchten auch nicht hin – dort, wo all die früheren Nachbarn heute leben. Dafür feiern sie jeden Sonntag mit drei bis vier Leuten in der vor Ort verbliebenen evangelischen Kirche den Gottesdienst. Die kleine Gruppe gestaltet dabei alles selbst. Mitunter kommt der für die Region zuständige Pfarrer vorbei. Dann ist das ein besonderer Sonntag. Aber bei 27 zu betreuenden Kirchen kommt er nicht oft. Wir verspüren sehr berührt, wie bedeutend der Glaube und das Festhalten an Gott für Hans und seine Schwester ist. Alles hat sich immer verändert. Der Glaube ist geblieben.
Hans erzählt von den Büffeln und davon, wie emphatisch diese Tiere sind. Sie wissen genau, wie es ihm geht. Wenn er traurig ist spüren sie es und versuchen ihn zu trösten. Es sind die optimalen Therapie-Tiere für Menschen, deren Seele keine Heimat mehr hat, erzählt uns Hans. Wie lange er das mit den Büffeln noch machen kann? »Ich weiß es nicht«, sagt er. »Man kann ja kaum davon leben und wie lange es uns noch gut geht – Gott weiß …«
Einige Tage später sind wir zu Gast bei Eva und Victor Clopotar in Brateiu, einer Familie der Kalderas-Roma, die sehr traditionsbewusst leben. Seit Jahrhunderten sind sie als Kesselschmiede unterwegs und prägten das romantische Bild der in Planwagen umherziehenden »Zigeuner«. In Brateiu sind sie sesshaft geworden. Eva begrüßt uns freundlich am Tor des großen geschlossenen Hofes. Die Frauen der Kalderas tragen bunte, lange Röcke, Blusen und Kopftücher über den langen Zöpfen. Für die Männer sind große schwarze Rundhüte und Bärte typisch. Die Mädchen heiraten meist mit 13 oder 14 Jahren und ziehen zur Familie des Mannes.
Bei Eva und Victor werden wir festlich bewirtet und es ergeben sich intensive Gespräche über Wertvorstellungen, Familienbilder, Kulturverständnis und die Bedeutung von Bildung. Wir staunen, fragen, denken, fragen weiter. Vielleicht kann man das Leben ja auch ganz anders betrachten, als wir es tun.
Der Autor ist Landesgeschäftsführer im Landesjugendpfarramt in Dresden.
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