Glauben Männer anders?
Glaube: Der »Männersonntag« stellt Ende Oktober die Suche nach Sinn und Glauben von Männern in den Mittelpunkt. Glauben Männer anders? Und wird das im kirchlichen Alltag berücksichtigt? Eine neue Studie gibt Auskunft.Bereits 1905 warnte der bekannte Theologe Ernst Troeltsch vor der Gefahr »einer bedenklichen Entmännlichung der Kirche«. An der von ihm beklagten »recht großen Teilnahmslosigkeit der Männer« scheint sich in den vergangenen fast 120 Jahren nichts geändert zu haben. Und die These von der »Entmännlichung der Kirche« findet in empirischen Befunden auch heute durchaus Nahrung: Männer sind im Gemeindeleben weniger aktiv als Frauen und haben eine höhere Neigung zum Kirchenaustritt.
So war für das Jahr 2017 im Bereich der evangelischen Kirchen festzustellen: Es treten überproportional Männer in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren aus. Bei den im Vergleich erheblich niedrigeren Eintritten gestaltet sich das Verhältnis genau entgegengesetzt – das ergab die Studie »#projektion 2060« der Universität Freiburg. Auch die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen (KMU) der vergangenen Jahrzehnte zeigten eine stetig abnehmende Verbundenheit von Männern mit Kirche im Vergleich zu Frauen. Dieser Befund bezieht auch die religiöse Selbsteinschätzung ein. Dabei nennen deutlich weniger Männer als Frauen inhaltliche Gründe für ihre Zugehörigkeit zur Kirche. Die Studie der EKD-Männerarbeit von 2005 »Was Männern Sinn gibt« ergab, dass Männer Kraft in »Gegenwelten« schöpfen. Dabei spielte die Natur eine entscheidende Rolle. Die Leitmotive reichten vom Glauben an die Natur, über den Gott in der Natur, bis hin zum Schöpfergott oder der Natur als Ausdruck eines unterschiedlich gedachten höheren Wesens.
Alle bisherigen Forschungen stellen fest, dass eine gewisse Distanz von Männern zu institutionalisierten Formen der Religion auf der einen Seite, dem Suchen von Männern nach Zugängen zu religiösen und spirituellen Ressourcen der eigenen seelischen Kraft auf der anderen Seite gegenüberstehen. Es gelingt christlichen Kirchen jedoch nicht, diese Suchbewegungen in religiösen Grundfragen angemessen aufzugreifen. Das mag daran liegen, dass Männer Anlässe der Gemeinschaft suchen, die ganz konkret ihren Lebensgefühlen entsprechen. Auf dem Pilgerweg, bei stillen Tagen im Kloster, auf Visionssuche, in der Einsamkeit der Natur oder meditativen Wanderungen machen sie spirituelle Erfahrungen, die sie ernst genommen, die sie nicht der dogmatischen Überprüfung unterzogen wissen wollen. So gilt es, Strukturen kirchlicher Arbeit zu fördern, die die geschlechtsspezifischen Zugänge von Menschen zu Kirche und Religion erleichtern – und eine authentische Begegnung mit Männern im Kontext der Botschaft Christi ermöglichen. Die offensichtliche Affinität vieler Männer zur Natur findet in Angeboten wie Gebirgswandern, Schöpfungsritualen oder Pilgern ihre Anknüpfung. Die Vater-Kind-Arbeit mit Outdoor-Events oder der Nacht des Feuers für Väter und Konfirmanden gehört zu den meistbesuchten kirchlichen Veranstaltungen. Workshops wie das gemeinsame Sarg-Bauen oder die Gestaltung von Grabsteinen holten Männer in ihrem handwerklichen Interesse ab und ermöglichten zugleich, in einem geschützten Raum die persönliche Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema der eigenen Sterblichkeit zu wagen. Es müsste mehr darum gehen, je spezifische Teilhabe zu ermöglichen, bei der Fähigkeiten zur Geltung kommen können, bei der unkomplizierte Vertrautheit entstehen kann, ohne verordnet zu werden. Es geht letztlich um Räume, in denen Nähe und Distanz selbst gewählt werden und in denen gerade deshalb besondere Begegnung erlebt werden kann. Die eigentliche gemeinschaftliche Herausforderung für Kirche und ihre Männerarbeit besteht dabei allerdings darin, den Transfer der Erfahrungen solcher punktuellen Begegnungen in die Dauerhaftigkeit und Alltäglichkeit des kirchlichen Lebens zu übertragen. Das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Kirche, die ihren Horizont öffnet für die sich wandelnden Bedingungen der diversen Lebenswelten von Menschen.
Martin Rosowski, Theologe und Historiker, ist Geschäftsführer des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer.
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