Die Kunst des Verzeihens
Der Buß- und Bettag rückt das Thema Fehler und Verfehlungen in den Blick. Experten mahnen eine gnädigere Fehlerkultur an und werben für die Kunst des Entschuldigens. Wie kann das gelingen?Anfang der 1980er Jahre rief der US-amerikanische Konzeptkünstler Allan Bridge die sogenannte »Apology Line« (»Entschuldigungs-Verbindung«) ins Leben. Bei der telefonischen Hotline konnte man anrufen und anonym für begangenes Unrecht gegenüber Mitmenschen um Verzeihung bitten. Wie sehr Bridge damit einen Nerv traf, hatte er wohl selbst nicht für möglich gehalten: Tausende riefen an, um ihr Gewissen zu erleichtern.
Um Entschuldigung zu bitten, könne befreiend wirken, sagt Manfred Lütz dem Evangelischen Pressedienst. Der 70-jährige Bestsellerautor ist Theologe und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Das von Angesicht zu Angesicht zu tun, setze allerdings ein gewisses Selbstbewusstsein voraus, »die innere Gewissheit, dass der eigene Wert nicht davon abhängt, dass man alles richtig macht«. Ein solches Selbstbewusstsein könne etwa der christliche Glaube bewirken, ist der Katholik überzeugt, »wenn man darauf vertraut, dass nur Gott perfekt ist und dass er mit unseren Fehlern und Sünden barmherzig umgeht«. Nach seiner Beobachtung wirkt sich eine schwindende Bereitschaft, Fehler einzugestehen und dafür um Verzeihung zu bitten, auch auf das gesamtgesellschaftliche Miteinander aus. Eine Gesellschaft, in der die Bereitschaft zur Bitte um Vergebung fehlt, spalte sich und werde kälter: »In Wahrheit sind wir alle Menschen, die Fehler machen können und der Barmherzigkeit bedürfen.« Besonders gut lasse sich das in der Politik beobachten, findet Lütz: »Die unsägliche Rechthaberei von Politikern wirkt künstlich und nicht überzeugend.« Sich immer nur herauszureden, sei »lächerlich«. Nach seiner Überzeugung würde es das Vertrauen in die Politik stärken, wenn Politiker offener zu ihren Fehlern stünden und diese auch bekennen würden.
Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler aus Tübingen, stimmt dem zu, warnt aber vor überinszenierten ritualisierten Entschuldigungen und öffentlichen Reue-Bekenntnissen, wie man sie vor allem in den USA beobachten könne. Eine allzu theatralische Bitte um Vergebung in aller Öffentlichkeit mache ihn ebenso misstrauisch wie ein lapidares »Sorry«, erklärt Pörksen. Oft gehe es dann nicht in erster Linie um tatsächliche Reue, sondern lediglich darum, das eigene Ansehen zu retten. Pörksen spricht von einer »Funktionalitätsvergiftung«: Der Adressat der Entschuldigung fühle sich missbraucht, weil die Bitte um Verzeihung letztlich rein instrumentell eingesetzt werde.
Aber warum tun sich einige Menschen überhaupt so schwer, andere um Verzeihung zu bitten? Psychologen und Psychotherapeuten machen dafür ein komplexes Zusammenspiel aus Ego, Angst, Unverständnis, Stolz und Scham verantwortlich. Oft lägen die Ursachen in der Kindheit, sagt die psychologische Beraterin Stephanie Hollstein aus Düsseldorf. Wer etwa als Kind immer Recht bekommen habe, habe nicht gelernt, mit anderen Meinungen umzugehen. Aber auch, wer in der Kindheit keine guten Bedingungen vorgefunden habe, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, oder schlechte Erfahrungen gemacht habe, werde als Erwachsener damit zu kämpfen haben. In leistungsorientierten Gesellschaften komme zudem eine problematische Fehlerkultur dazu: Viele Menschen empfänden die Bitte um Entschuldigung als Niederlage, als Eingeständnis, falsch gehandelt zu haben. Das Gegenteil sei der Fall, urteilt Manfred Lütz: Wer um Entschuldigung bitte, zeige Größe. Und er warnt zugleich vor einem Missverständnis: Es könne sich niemand selbst entschuldigen, wie das umgangssprachlich meist formuliert werde. Man könne stets nur um Entschuldigung bitten.
Zum Buß- und Bettag am 20. November finden in zahlreichen Kirchgemeinden Gottesdienste statt. Landesbischof Tobias Bilz wird in der Kreuzkirche Dresden predigen.
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