»Die Not ist jetzt!«
Personalnot: Antje Pech soll in drei Jahren ein Personalentwicklungskonzept für die Landeskirche erarbeiten. Die Herausforderung ist mindestens so groß wie der Zeit- und Veränderungsdruck, erklärt sie im Interview. Außerdem spricht sie über Versäumnisse, Chancen und einen Traum.Frau Pech, wie sind Sie zu Ihrer neuen Stelle gekommen?
Antje Pech: Weil ich in meinem Kirchenbezirk mit meinem Team intensiv Personalentwicklung betreibe. Ich habe zudem eine Personalcoach-Fortbildung absolviert an der Führungsakademie für Kirche und Diakonie in Berlin. Die Landeskirche hat diese zwei Kurse unterstützt – und nun wird die Kenntnis mit meiner neuen Stelle abgefragt. Das freut mich sehr.
Die Stelle war nicht ausgeschrieben.
Ich bin von Margrit Klatte angesprochen worden. Wir haben uns ausgetauscht, wie Personalentwicklung in unserer Landeskirche aufgestellt werden kann. Ich habe auf der Landessynodentagung mitbekommen, dass es über die Art der Stellenbesetzung auch Verwunderung und Ärger gab. Ich sehe es pragmatisch: Ich bin sehr ziel- und aufgabenorientiert und es ist jetzt hier eine Aufgabe zu erledigen.
Welches Ziel setzen Sie sich für Ihre neue Arbeit?
Meine Stelle heißt »Koordinatorin und Prozessmanagerin für die Erarbeitung eines Personalentwicklungskonzeptes (Handlungsleitlinien Personalbindung, Personalentwicklung und Gesundheitsfürsorge) für die drei Verkündigungsberufe für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens«. Mein Ziel ist, das Konzept zu erarbeiten, denn daran werde ich gemessen. Ich möchte zudem die Fortbildung stärken im Blick auf Personalführung und -entwicklung auf Ebene der Kirchenbezirke und Pfarramtsleitungen, damit die Mitarbeitenden die Möglichkeit für gleiche Behandlung und Leistungen haben. Das nächste Ziel wäre für mich, dass ich Kooperationen aufbaue oder erweitere für Instrumente der Personalentwicklung.
An welchen Landeskirchen orientieren Sie sich?
Württemberg hat so ein Konzept. Und mit der Landeskirche Hannover haben wir einen guten Partner. Das funktioniert alles nur mit einem EKD-weiten Netzwerk, in dem wir uns gegenseitig unterstützen. Die westlichen Landeskirchen staunen, wie veränderungsbereit wir seit 1990 sind. Das müssen wir uns auch vor Augen halten und darauf können wir stolz sein. Wir sehen es etwa dabei, wie gut auf Gemeindeebene die neuen Rechtsstrukturen funktionieren und was sich bei den Verwaltungszentralen getan hat. Das ist höchst beeindruckend – innerhalb weniger Jahre.
Warum wird die Verwaltung nicht in Ihr Konzept integriert?
Ich glaube, die drei Verkündigungsberufe sind Aufgabe genug. Und es gibt – zumindest in meinem Kirchenbezirk – immer noch genug Bewerbungen auf die Verwaltungsstellen.
Und bei den Verkündigungsberufen? Wie viele unbesetzte Stellen haben Sie in Ihrem Kirchenbezirk?
Die meisten habe ich im Pfarrdienst, im Moment sechs unbesetzte Stellen. Und es gibt noch eine 65-Prozent-Stelle Gemeindepädagogik. Die Pfarrstellensituation ist wirklich grenzwertig, weil die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ihre Vakanzvertretung eigentlich für immer ist. Und das macht sie ganz schön mürbe.
Wie wäre es mit einer Arbeitszeitbegrenzung bei Pfarrern?
Das wäre mein Traum – und eines meiner Teilziele: Ich möchte nach den drei Jahren eine Arbeitszeit im Pfarrdienst in Sachsen haben. Andere Landeskirchen haben unterschiedliche Varianten von 40 oder 42 Stunden oder eine Jahresarbeitszeit. Ich denke, daran kommen wir nicht vorbei.
Also fallen künftig Aufgaben weg?
Ja. Wir haben in den Rechtsstrukturen unseres Kirchenbezirks dazu aufgefordert, dass dieses Jahr eine Schwerpunktsetzung erfolgt. Den Beratungsprozess haben wir auch für den Kirchenbezirk gemacht und dabei fünf Schwerpunkte festgelegt: Strukturwandel ist ein großes Thema, Inklusion, auch das Gütesiegel Familienorientierung. So wollen wir auch das Geld verteilen. Anderes gehört künftig nicht mehr zu unseren Aufgaben, etwa die Männer- und Frauenarbeit, die dann auf Gemeindeebene koordiniert wird.
Sollten überall in der Landeskirche Schwerpunkte gesetzt werden?
Die Führungspersonen müssen das einfordern, anders geht es nicht mehr. Etwa das Thema gabenorientiertes Arbeiten, wie es in »Kirche mit Hoffnung in Sachsen« steht. Ich verstehe nicht, warum Menschen nicht genau das arbeiten, worauf sie Lust haben. Das hat doch auch mit Professionalität zu tun. Eigentlich könnte es so einfach sein.
Wollen Sie gleich noch die Berufsbilder neu beschreiben, was ja erst in der letzten Dekade passiert ist?
Die sind überhaupt nicht mehr diskutiert worden. Es war grandios vorgearbeitet, was wir jetzt gut gebrauchen könnten: Was alles nicht mehr Aufgabe der Verkündigungsmitarbeitenden wäre, sondern durch Ehrenamtliche, durch Kooperationen im Sozialraum oder anders gemacht werden müsste. Das war damals zu gewagt, zu neu.
Wie sieht gute Personalentwicklung bei Ihnen aus?
Ein großes Instrument der Personalentwicklung ist bei uns seit 2019 die Zertifizierung mit dem Evangelischen Gütesiegel Familienorientierung. Als Arbeitgeber wollen wir unterstützen mit Maßnahmen, die den Mitarbeitenden zugute kommen. Wir geben etwa Zuschüsse für Rüstzeiten, Zuwendungen für Geburtstage oder die Geburt eines Kindes. Und wir vergeben Darlehen – eine der gefragtesten Maßnahmen. Wir haben auch die Jahresgespräche für alle Mitarbeitenden vereinheitlicht.
Ist das ein Maßstab, den Sie gern auf die Landeskirche übertragen wollen?
Auch im Landeskirchenamt gab es Bestrebungen zum Gütesiegel, es ist aber noch nicht gestartet. Für die gesamte Landeskirche wäre es sportlich.
Sammeln Sie in Ihrer neuen Stelle nur, was schon vorhanden ist, oder entwickeln Sie auch neue Maßnahmen?
Es ist beides. Ich erarbeite, was auch andere im Landeskirchenamt für wichtig in der Personalentwicklung erachten. Und ich sammle, was schon da ist. Ich versuche das zusammenzuführen und so weiterzuentwickeln, dass es mit Gesetzen und Verordnungen auch umgesetzt werden kann. Und ich gehe davon aus, dass auch neue Ideen gefragt sind. Das kann eine Riesenchance für die Landeskirche sein.
Wäre es das nicht auch ohne neue Impulse?
Schon das wäre eine große Veränderung. Wir fangen ja nicht bei Null an: Es gibt Jahresgespräche, Fortbildungen, das Haus der Stille, Supervision, Coaching, … Wichtig ist nun die Bündelung und der Hinweis für die Mitarbeitenden: Es ist Euer Anspruch! Und wir möchten, dass Ihr es in Anspruch nehmt für Eure Entwicklung und die Entwicklung der Organisation.
Bevor ich Personal entwickeln kann, muss ich es erst einmal haben. Wie sehen Sie die Landeskirche dafür aufgestellt?
Wir sprechen hier über eine Kulturveränderung, weil nicht mehr so viele Mitarbeitende da sind und Jüngere mit anderen Vorstellungen kommen. Ich bin total froh, dass diese Vorstellungen endlich benannt werden. Die Gesellschaft diskutiert die 4-Tage-Woche. Ich höre auf der anderen Seite, wie toll es ist, sieben Tage in der Woche zu arbeiten. Das kommt ja gar nicht mehr zusammen und da wirkt Kirche wirklich grotesk. Zudem sehe ich in der Kirche ein Systemproblem: mangelnde Wertschätzung. Das muss sich echt ändern!
Weil die Not jetzt so groß ist.
Ja, die Not ist jetzt! Wir haben nur vier Vikarinnen und Vikare. Jetzt bewegt sich was. Es hätte sich schon vor zehn Jahren was bewegen müssen. Es ist auch eine Frage des Gleichgewichts der Arbeitsfelder im Landeskirchenamt. Das Dezernat für Gemeindeentwicklung ist irgendwie aufgelöst. Aber ohne Personal kann ich nicht konzeptionell arbeiten und schon gar keine Zukunftsprozesse starten.
So wie »Kirche mit Hoffnung«?
Ich halte es für ein geniales, fortschrittliches Papier. Aber auch da ist kein Personal da, um diesen Prozess, der wirklich gut läuft, zu begleiten. Da müsste evaluiert werden, aber es passiert schon gar nicht mehr.
Bei einer guten Personalentwicklung: Wie müsste Ihr Weg nach den drei Jahren als Referentin weitergehen?
Dann müsste es im Landeskirchenamt ein ganzes Dezernat geben, das sich mit Zukunftsprozessen und Personalentwicklung beschäftigt. Nicht für ewig, aber für die nächsten sieben Jahre.
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