Wie ich neuen Glauben fand
Glauben: Der geplante Lebensweg scheitert, Glaube wankt und das Tal, in dem man sich befindet, fühlt sich endlos und dunkel an. Wie gut und wichtig, wenn man dann einen Hoffnungsfunken finden kann. Kann Kirche dafür ein Ort sein?Ich war eine Fundamentalistin. Eine, die glaubte, dass die Apokalypse naht und die Glücksbärchis und Teletubbies Auswüchse des Teufels sind. Ich war der Meinung, dass ich nur richtig glauben und beten müsse, um niemals krank werden zu können. Ich hütete mich davor, Zweifel und Fragen über den Glauben in meinem Leben zu groß werden zu lassen. Liberal zu werden, hätte bedeutet, nicht mehr ganz zu Jesus gehören zu können und damit zu ewigen Höllenqualen verdammt zu sein. Fundamentalistisch zu sein, bedeutete, die richtigen Überzeugungen über Gott zu haben und diese auch zu verteidigen gegen alle und jeden, der diese in Frage stellen wollte. Ich wollte den »guten Kampf des Glaubens« kämpfen und Gott gefallen. Alle Menschen sollten ihn genauso lieben und ihr Leben ihm hingeben, wie ich.
Theologische Veränderung war nicht möglich, die Bibel wurde wortwörtlich gelesen und verstanden. Ich war der Meinung, dass der wahre christliche Glaube, oder vielleicht eher die ursprünglichste und beste Version davon, mit Jesus und seinen Jüngern in die Welt gekommen war, dann inmitten des Römischen Reiches verloren ging und von Martin Luther wieder zum Leben erweckt wurde. Doch dann wurde er wieder verwässert durch all die Humanisten und historisch-kritischen Bibelausleger und was noch schlimmer war: Feministische Theologie. Die wichtigsten Elemente des Glaubens, so dachte ich, hatten sich über die Jahrhunderte nicht verändert und es war unsere Aufgabe, diese Wahrheiten zu beschützen und zu verteidigen. Aber wie hätten diese Wahrheiten ausgesehen, wenn ich in einer anderen Zeit gelebt hätte? Wäre es dann okay für mich gewesen, wenn mein Mann polygam gelebt hätte? Und wie viele Sklaven hätte ich gehabt? Und wäre ich begeistert von den Kreuzzügen gewesen? Die ganze Zeit spürte ich, dass mich dieses fundamentalistische Denken nicht glücklich macht und es mich nicht so befreit leben ließ, wie es mir versprochen wurde.
Doch um zu einem authentischen und freiheitlichen Glauben finden zu können, musste ich mich für Veränderung öffnen. Es kostete Mut, nicht stehenzubleiben. Ich bewegte mich von Sicherheit über Zweifel hin zu einem verwandelten Glauben. Dabei ging es nicht so sehr um die Antworten, die ich fand, sondern um die Fragen, die ich mir zu stellen wagte. Die einfachen Antworten genügten mir irgendwann nicht mehr, aber meine Fragen töteten meinen Glauben nicht, sondern machten ihn tiefer, fester, stärker und neu.
Meine Lebens- und Glaubensgeschichte ähnelt derer von vielen anderen Menschen: Sie besteht aus Straucheln, Stolpern, Hinfallen und Wiederaufstehen. Es ist die Geschichte vom Scheitern, aber auch eine Erzählung von einem authentisch-freiheitlichen Leben und Glauben.
Ich wuchs in einer christlichen Familie in Leipzig auf. Meine Eltern gehörten zu einer evangelikalen Freikirche. Dadurch war es nicht ungewöhnlich, dass ich mit 19 Jahren heiratete, einen Bachelorabschluss in Theologie machte und mit 22 Jahren als angehende Pastorin arbeitete. Ungewöhnlich fand mein Umfeld, als meine Ehe drei Jahre später zerbrach und noch ungewöhnlicher war es, dass ich 9 Monate später meinen jetzigen Mann kennenlernte und außerehelich schwanger wurde. Ich verlor dadurch meinen Beruf in der evangelikalen Freikirche, meine Mitgliedschaft in der (freien) Kirchgemeinde und auch viele Freunde. Ich verlor auch meine Identität, denn die hatte sich fest verflochten mit meiner Berufung und meinem Beruf. Ich stürzte in eine Krise und spürte das Scheitern als Reflexion der Reaktionen in meinem nahen Umfeld. Aus meiner kleinen Gemeindeblase auszusteigen, stellte sich als das größte Abenteuer meines Lebens heraus.
Die Scham über mein Scheitern beeinträchtigte lange Zeit mein Leben. Doch Scham wächst auch durch ihre Unaussprechlichkeit. Sobald wir mutig beginnen, unsere Geschichten zu teilen und uns verletzlich zu zeigen, schaffen wir Raum für authentische Gespräche und Beziehungen.
Ich musste mir meine Werte neu zusammensetzen und mir ein komplett neues Leben aufbauen. Es war das Beste und Schmerzhafteste, was ich jemals getan habe, und fühlt sich auch immer noch manchmal beängstigend an. Glücklicherweise bin ich nicht mehr allein mit meinen Fragen, Zweifeln und Unsicherheiten. Als ich alles verlor, fand ich eine neue geistliche Heimat. Seit über 10 Jahren bin ich Mitglied in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens. Unsere Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, sagte in einem Podcast: »Wir sind eine Gemeinschaft der Suchenden.« Und wie könnte ich dann nicht dazu gehören? Neue theologische Antworten habe ich gefunden. Ein Theologiestudium an der Universität in Leipzig erlebt, das Glauben stärkt, obwohl es wissenschaftliche Fragen stellt. Eine Theologie zu entdecken, die mich freisetzt, mich mit Kraft und Liebe erfüllt, ließ mich den schönsten Heilungsweg betreten, den ich mir denken konnte. Jahrelang hatte ich mich von mir selbst entfremdet: Gottes Wille, oder das, was ich dafür hielt, war wichtiger als mein eigener. Ich wurde angeklagt, wenn ich mich von Gott entfernt fühlte. Ich unterdrückte meine natürlichen Wünsche. Mir wurde beigebracht, dass meine Gedanken trügerisch sind, und Gott alle Antworten hat.
Heute kann ich die Unvollkommenheit meines Seins akzeptieren. Ich weiß jetzt, dass ich weder perfekt sein noch Angst haben muss, jemanden zu enttäuschen. In dem ganzen Prozess wurde mir eines bewusst: Ich sehne mich nicht nach einem modernen Christentum, sondern nach einem wahrhaftigen, authentischen Christsein. Denn Jesus steht für Liebe und Zugewandtheit und berührt Menschen.
Ich wünsche mir lebendigen Glauben, der nicht verdammt, sondern annimmt. Einen Glauben und eine Kirche, die Raum schenkt, um authentisch mit eigenem Schmerz und Scheitern umgehen zu können. Wir sind gemeinsam auf einer Reise, die sich manchmal schmerzhaft, manchmal verzweifelt und doch auch wunderschön anfühlt.
Mehr dazu in: Priska Lachmann: Aufwärts fallen. Wie mein Leben zerbrach und ich zu einem neuen Glauben fand. Gütersloh 2023, 224 S., 20 Euro.
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