Sollen Pfarrer Kragen tragen?
Eine Pro- und Kontra-Debatte zur Frage, ob Pfarrerinnen und Pfarrer im Alltag ein Kollarhemd tragen solltenPro: Pfarrer Dr. Arndt Hauboldt
Den Dienst sichtbar machen
Schon als junger Pfarrer in der DDR habe ich mir ein Kollarhemd zugelegt. Es wird von einem Stehkragen mit einer weißen Einsteckleiste (»Kalkleiste«) gekennzeichnet. Das war damals schwer zu beschaffen. Der Thüringer Landesbischof Dr. Werner Leich hatte mit einer volkseigenen Näherei ein Spezialabkommen geschlossen, das unter dem politisch unverfänglichen Stichwort »Trachtengruppe Leich« diese Kirchenhemden nähte. Darüber konnte ich herzlich lachen! Die Kalkleiste musste ich mir selbst aus einem Plastik-Quarkbecher zurechtschneiden! Ich trug und trage das Kollarhemd zu besonderen dienstlichen Anlässen – nicht im Alltag, nicht im Unterricht und nicht regelmäßig. Ich trage es, um die Kirche und meinen Glauben in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen! So wie früher die Diakonissen in ihrer Tracht in der Öffentlichkeit Diakonie und Nächstenliebe präsent machten. Zur Synode, zu kirchlichen Festen, bei ökumenischen und politischen Begegnungen, aber auch bei Seelsorgebesuchen im Krankenhaus trage ich das Kollarhemd. Auch andere Berufsgruppen, die den Menschen dienen, sind durch ihre Kleidung ebenfalls im Einsatz öffentlich erkennbar: medizinisches Personal, Feuerwehr und Polizei. Das vorgeschriebene Tragen eines Talars im Gottesdienst und auf dem Friedhof verleiht dem Träger einen dienstlichen und überindividuellen Charakter. Jeder kann diesen Menschen erkennen und beanspruchen als Seelsorger, als Ratgeber in Glaubensfragen, als Vertreter der Kirche, als Beistand in Notlagen. Da der Talar aber nur der Stunde des Gottesdienstes vorbehalten ist, ist das Kollarhemd wie ein kleiner Talar außerhalb des Sonntags, womit die Kirche ein Stück in den Alltag hinausgetragen wird, gerade da, wo der Talar unbequem wäre. Das Kollarhemd ist keine überhebliche Hervorhebung der Person, sondern ein Kenntlichmachen einer Funktion, auch ein öffentliches Glaubenszeichen. In jedem Fall macht es Menschen aufmerksam. Ich fühle mich mit dem Kollarhemd in guter ökumenischer Gemeinschaft. Orthodoxe Priester tragen im Alltag ein schwarzes Gewand, katholische Priester häufig schwarze Hose und Pullover mit weißem Hemd. Mönche und Nonnen tragen selbstverständlich ihre Kleidung, an der ich sie erkennen kann. Lutherische, aber auch methodistische Pfarrer und Pfarrerinnen tragen in vielen Ländern Kollarhemden – etwa in den USA, in Skandinavien, im Baltikum, in Polen, Russland, Afrika. Dabei herrscht kein Kleidungszwang, sondern evangelische Freiheit. Man muss sich selbst wohlfühlen in diesem Hemd. Da es keine offizielle Dienstkleidung des Pfarrers ist, kann es auch von Kantoren oder Lektoren getragen werden. Ich bin als Träger eines Kollarhemds nie angepöbelt oder ausgelacht worden. Nicht selten bin ich aber dadurch angesprochen worden in meiner geistlichen Funktion. Oft hat es mir auch Türen geöffnet, etwa im Krankenhaus. Manche mag es allerdings befremdet haben, weil es in Sachsen nicht verbreitet ist, und vielleicht habe ich wegen dieses Hemdes eine Superintendentenwahl verloren. Die gelegentliche Ablehnung des Kollarhemds kommt auch daher, weil festliche Kleidung in Deutschland kaum eine Rolle mehr spielt. Das Kollarhemd ist für mich kein Ausdruck von Steifheit oder Amtsgebaren, sondern ein frei und fröhlich getragenes christliches Zeichen! Arndt Haubold
Pfarrer im Ruhestand Dr. Arndt Haubold, Wintersdorf. Er ist außerdem Vorsitzender des Gustav-Adolf-Werkes in Sachsen. Foto: privat
Kontra: Pfarrer Dr. Peter Meis
Alle Getauften sind Priester
Kleider machen Leute. Nicht nur in der gleichnamigen Novelle Gottfried Kellers geht es dabei um das Gesehenwerden. Angesehen zu werden ist lebensnotwendig. Wie Blumen im Licht entfalten auch wir Menschen uns erst im Angesehenwerden. Bleibt es aus, verkümmern wir innerlich und äußerlich. Kleider machen Leute. Neben ihrer vornehmlichen Aufgabe des Schutzes sind Kleider auch auf Schmuck und Wohlbefinden aus. Auch dafür machen Leute Kleider, auch darin dürfen wir uns sehen lassen. Schließlich verbinden gute Kleider eine positive Außenwirkung mit einer solchen auch nach innen. Von dieser Wechselwirkung wusste auch Paulus, wenn er, allen Tugenden voran, die Liebe wie ein gutes Kleid anzuziehen rät (Kol 3,12-14; Eph 4,22-24; Rö 13,14). Die tägliche Übung einer solchen Kleiderordnung verändert auch den inneren Menschen, seinen Habitus (die Haltung, das Gebaren). Dürfen diese Zusammenhänge auch auf die Amtskleider von Pfarrerinnen und Pfarrern übertragen werden? Ausgenommen Gottesdienst und Kasualien – hier unterstreichen liturgische Gewänder unbestritten eine der Sache entsprechende Ausübung eines Amtes. Anders aber steht es um das Tragen eines Kollarhemdes (ursprünglich Chorhemd mit weißem Rundkragen für Priester) im Alltag. Auch in unserer Landeskirche wird es oft mit einem notwendigen Gesehenwerden begründet: In einer zunehmend säkularen Gesellschaft sei es wichtig, als Geistliche erkennbar zu sein. Ich gestehe, diesem Argument gegenüber skeptisch zu sein. Bei ökumenischen Begegnungen, auch hier wird das Kollarhemd von evangelischen Theologinnen und Theologen gern getragen, ist es gerade kein Ausdruck der Besonderheit, eher ein Unsichtbarmachen des evangelischen Amtsverständnisses, das sich eben nur im gottesdienstlichen Geschehen auch optisch von allen Getauften unterscheidet.Könnte es also sein, dass die eigentlichen Motive dieser öffentlichen Inszenierung tiefer liegen, etwa im Reiz eines habituellen Standings? Rein äußerlich wirkt es (jedenfalls in unserer Tradition) wie eine Anleihe an das katholische Amtsverständnis. Geht damit aber nicht auch innerlich die Versuchung eines priesterlichen Selbstverständnisses einher? Anders als das evangelische Pfarramt, das allein um der ordnungsgemäßen Ausrichtung von Wort und Sakrament – inzwischen auch durch Prädikanten – eingerichtet worden ist, kommt dem Priester eine Mittlerfunktion zwischen Gott und Mensch zu, eben diese begründet die Hierarchien in unserer Schwesterkirche. Wie man diese Fragen auch beantwortet – in jedem Falle zieht das Tragen eines Kollarhemdes feine Unterschiede ein in das von den Reformatoren neu entdeckte »Priestertum aller Getauften«. Es scheint jenen Habitus zu verleihen, der etwas herausgehoben und darin auch etwas unverletzbarer gegenüber den Kränkungen der Säkularisation macht. Wäre das, so gesehen, dann auch eine Weise der Kompensation des Bedeutungsverlustes unserer Kirchen? Darüber ins Gespräch zu kommen, wäre interessant und lohnend. Nicht nur im Blick auf das sich womöglich wandelnde (?) evangelische Amts- und Selbstverständnis. Auch bezüglich der Botschaft der Jahreslosung – hier freilich sieht Gott die Lebenslage und in das Herz der Hagar, eines Blickfanges dafür bedarf er gewiss nicht. Peter Meis
Pfarrer im Ruhestand Dr. Peter Meis, Dresden. Er war Oberlandeskirchenrat sowie Professor für Neues Testament in Moritzburg. Foto S. Giersch
Hintergrund:
Das Berufsbild des evangelischen Pfarrers, bzw. der Pfarrerin ist so stark im Wandel, dass in der Forschung nicht mehr von dem einen Pfarrerbild gesprochen wird, sondern von vielfältigen Identitäten, die nebeneinander existieren. Heute stehe nicht mehr der pfarrerzentrierte Gemeindebezirk im Fokus, sondern »die Menschen von heute«, denen einfache Zugänge zur Liebe Gottes eröffnet werden sollen, heißt es in dem Sammelband »Identitäten im Pfarramt. Denkanstöße aus Theorie und Praxis« (Evangelische Verlagsanstalt 2019). Junge Pfarrerinnen und Pfarrer sollten dazu ermutigt werden, ihren eigenen Stil und ein authentisches Ausfüllen der Pfarrerrolle zu entwickeln, heißt es. Es komme darauf an, sich mit sich selbst gut verbunden zu fühlen und »Selbstsorge« zu entwickeln. Persönliche und professionelle Grenzen und die Grenzen anderer sollen dabei beachtet werden. Auch eine Fehlerfreundlichkeit gelte es zu entwickeln. »Auch ein zu 66 % guter Pfarrer ist ein guter Pfarrer«, heißt es.
Wir möchten bis Heiligabend mit Ihnen zurückblicken auf spannende Themen und Artikel, die Sie nur im Abo lesen konnten. 24 davon stellen wir Ihnen im Advent kostenlos bereit. Blicken Sie mit uns zurück, was uns dieses Jahr alles beschäftigt hat. Dieser Artikel erschien im DER SONNTAG, Nr. 26 | 2.7.2023. Möchten Sie mehr lesen? Alle Sonntagsthemen finden Sie bequem in unserem Abo. Ob gedruckt oder digital – Verpassen Sie keinen Artikel mehr. Bestellen Sie jetzt unter: https://www.sonntag-sachsen.de/aboservice
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.