Anschub für träge Kirche
Innovation und Kirche: Die christlichen Urgemeinden waren sehr innovativ. Wie ist das heute mit der Kirche? Landesbischof Tobias Bilz findet sie »träge«. In Meißen wurden Gründe und Auswege gesucht.Er ist unzufrieden mit seiner »trägen Kirche«. Landesbischof Tobias Bilz beklagt, dass »wir irgendwie immer einen Schritt hinterher sind. Wir kommen nicht aus dem ›Knick‹». Er benennt konkret zum Beispiel die Kommunikation mit dem Stichwort Digitalisierung, den Umbau der Strukturen, die Entwicklung der kirchlichen Berufe oder auch allgemein, »wie eine Kirche sein müsste, die in diesen schwierigen Zeiten Orientierung geben sollte«. Tobias Bilz weiß, dass er selbst mit verantwortlich dafür ist. Er erinnert schmerzlich daran, dass er in Corona-Zeiten nicht willens gewesen sei, das Abendmahl in den Häusern feiern zu lassen. Heute sehe er das anders, eine verpasste Chance. »Wir brauchen einfach zu lange, die Trägheit des Systems ...«.
Was der Landesbischof am vergangenen Sonntag in seiner Kanzelrede in der Leipziger Michaeliskirche sagte, hätte auch die Einleitung zum Inspirationstag »Innovation« wenige Tage vorher im Klosterhof Meißen sein können. Rund 60 Interessierte aus Gemeinden und Einrichtungen der Landeskirche, die schon ihre eigenen Erfahrungen mit der »Trägheit des Systems« gemacht hatten, suchten nach Wegen für gelingende Veränderungen.
Dabei sei die Landeskirche in bestimmten Bereichen durchaus schon innovativ, meint Klaus Douglass. Der Pfarrer ist Direktor des »midi«, der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung in Berlin. Oder, wie er abkürzt: »Wir sind Zukunftswerkstatt.« Konkret benannte er positiv etwa die neugeschaffenen missionarischen Stellen und Projekte in der Landeskirche Sachsens, bei denen Kirche neue Wege geht. Auch den Vakanzfonds hob er hervor, in den die Personalkosten aus vakanten Stellen fließen. Daraus wiederum können andere Stellen und Mitarbeiter bezahlt werden, was für größere Flexibilität sorgt. Rückblickend auf seine Biografie meint er, »hatten wir in den letzten Jahrzehnten ohne Ende Reformen und Innovationen in der Kirche«.
Im Zentrum aller Überlegungen müsse die Frage nach dem »Wozu« stehen, betonte Klaus Douglass. Die Antwort sei, Menschen im gemeinsamen Glauben an Jesus Christus spirituell zu vernetzen. »Und dass sie in die Lage versetzt werden, ihren Glauben in Wort und Tat weiterzugeben«, so Douglass. Das Ziel sei die Jüngerschaft. Menschen würden vielleicht zur Gemeinde kommen, weil es besondere Formen und Angebote gibt. »Aber sie bleiben wegen des Warum«, hob er hervor und mahnte, das Ziel der Angebote nicht aus den Augen zu verlieren.
Bei geplanten Veränderungen sollten zuerst die »Träumer und positiven Meinungsmacher« in den Blick genommen werden, empfahl Klaus Douglass. Wenn sie überzeugt seien, dann könnte die schweigende und danach die zögernde Mehrheit in den Blick genommen werden. Zuletzt dann die Ablehnenden und die Gegner. »Sie werden niemals alle gewinnen«, entgegnete der midi-Direktor falschen Erwartungen. Am Ende brauche es auch den »Mut zum Exnovieren«, also den Mut, überholte Dinge sein zu lassen.
Dietrich Eisold, Berater für junge und innovative Firmen im »Zentrum für nachhaltigen Wandel« in Dresden, nahm etwas Abstand vom Kirchenblick und fasste die Veränderungsmöglichkeiten aus seiner Perspektive zusammen. Im Innovationsmanagement würden die Aufgaben unterschiedlich verteilt: Es gebe Pioniere, die Neues erkunden, Siedler, die das Neue mit Leben füllen, und Städteplaner, die darauf aufbauen. Wichtig sei die Verteilung der Aufgaben nach Gaben und Zeit.
Dass das Christentum in seiner Frühzeit sehr innovativ war und daraus gelernt werden könnte, zeigte Benjamin Schliesser. Der Professor für Neues Testament an der Universität Bern ging dazu ins erste Jahrhundert zurück, als die Christen eine »innovative Diakonie« pflegten und sich um Witwen, Waisen und Arme kümmerten. »Jesu Worte waren damals revolutionär«, so Schliesser, »und die christliche Ethik eine grelle Werbung für den Glauben.« Der Theologe macht die Innovationen auch an der Würde des Lebens fest, an neuen Gemeinschaftsformen ohne Trennung von Milieus und ohne Mitgliedsbeiträge, am veränderten Geschlechterverhältnis mit Frauen in Leitungsfunktionen, an Versammlungsorten in den Häusern, an der Kommunikation durch Briefe, an innovativem Glauben und einer Spiritualität, bei der der Geist Gottes über allen weht und in jeder Person wirkt. Das Leben der Urgemeinde damals »soll nicht normativ für uns sein«, sagte Benjamin Schliesser. Aber der Blick auf diese Veränderungen führe zu Fragen für unsere heutige Zeit.
Klaus Douglass gab den Teilnehmern mit auf den Weg, bei Veränderungen einen langen Atem zu haben. Neues brauche seine Zeit.
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