Sie arbeiten den Missbrauch auf
Sexualisierte Gewalt: Die unabhängige Aufarbeitungskommission für Fälle sexualisierter Gewalt in Pobershau hat im Auftrag der Landeskirche ihre Arbeit aufgenommen. Ein Einblick in die Kommission und ein Seitenblick auf einen weiteren Missbrauchsfall.Zwei Frauen und zwei Männer gehören der ersten unabhängigen Aufarbeitungskommission an, die seit 18. Januar für die Landeskirche arbeitet. Der Kirchenvorstand von Kühnhaide-Pobershau beurteilt die Kommission als »fachlich hochqualifiziertes Gremium, dessen Arbeitsaufnahme wir zuversichtlich entgegensehen«, teilte er auf Nachfrage mit. Auch die von sexualisierter Gewalt in Pobershau Betroffenen haben an der Auswahl des Gremiums mitgewirkt. Über einen Beirat, in dem zwei der bislang drei bekannten betroffenen Frauen unter Leitung von Pfarrer i. R. Thomas Schönfuß mitarbeiten, nahmen sie Einfluss.
An erster Stelle der Aufarbeitungskommission steht ihr Sprecher, Gregor Mennicken. Der Dresdner Psychotherapeut arbeite mit Betroffenen sexualisierter Gewalt in seiner Praxis, in der Initiativgruppe zur Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention sowie in zahlreichen informellen Kontakten zusammen, sagt er auf Anfrage. Während der Arbeit an einem Schutzkonzept für seine Kirchgemeinde sei ihm klar geworden, »dass Prävention ohne Aufarbeitung weder aufrichtig noch effektiv sein kann«, sagt der Katholik. Dafür brauche es die Unterstützung und den Rat von Betroffenen.
Er frage sich, »warum Aufarbeitung in der Institution nicht geschieht«, und wenn, dann »nur auf öffentlichen Druck hin«. »Unfassbares Leitungsversagen, fehlende Verantwortungsübernahme bis hin zur öffentlichen Lüge haben meine Kirche in Trümmer gelegt«, so Mennicken über die katholische Kirche. »Ganz offensichtlich stand bislang der Schutz der Institution und der Täter oft vor dem Schutz der Betroffenen und gegen den Opferschutz.« Die Aufarbeitungskommission sei auch über den mutmaßlichen Missbrauch durch den ehemaligen Jugendwart Kurt Ströer in den 60er und 70er Jahren informiert. Gregor Mennicken sagt, dass sich Betroffene vor und nach seinem Leserbrief im SONNTAG (Nr. 3, S. 11) an ihn gewandt hätten.
Auch Julia Schellong, Oberärztin in der Psychotraumatologie am Uniklinikum Dresden, ist parallel zur Aufarbeitungskommission mit dem »Fall« Ströer befasst. Sie ist seit vergangenem Jahr Mitglied der Kommission zur Anerkennung erlittenen Leids und daher »auch mit diesen Vorkommnissen befasst«, sagt sie. »Hier steht noch ein differenzierter und intensiver Aufarbeitungsprozess bevor.«
Beruflich habe sie sehr viel mit Betroffenen zu tun und sehe das Leid, dass das Thema sexueller Missbrauch auch langfristig verursacht. »Ich möchte gerne die Menschen stärken, die sich dem Thema stellen, seien es nun selbst Betroffene, Angehörige, Freunde oder Gemeindeglieder«, so die Traumatherapeutin. »Mir hilft die Überzeugung, dass Offenheit in dieser Thematik auch der Prävention dient.«
Die Sozialpädagogin Christiane Hentschker-Bringt arbeitet seit etwa 20 Jahren zum Thema Prävention sexualisierter Gewalt. In diesem Zeitraum sei sie wiederholt auch mit kirchlichen Einrichtungen konfrontiert gewesen, die sich mit Fällen von Sexualisierter Gewalt durch Mitarbeitende und Ehrenamtliche auseinandersetzen mussten. »Ich weiß, dass im kirchlichen Kontext die Themen Schuld und Vergebung eine wichtige Rolle spielen, was in der Regel zu erheblichem Druck auf Betroffene führt«, sagt sie. »Eine breite Aufarbeitung, Verantwortungsübernahme und uneingeschränkte Anerkennung des Leids der Betroffenen sind die absolut notwendigen Voraussetzungen dafür, dass der nachvollziehbare Wunsch nach Normalität und nach vorn schauen überhaupt möglich werden.« Die Sozialpädagogin, die in der Fachstelle »Shukura« der Arbeiterwohlfahrt in Dresden arbeitet, möchte die Kirchgemeinde Pobershau auf diesem Weg unterstützen.
Das vierte Kommissionsmitglied ist Jörn Zimmermann. Er habe noch keine direkte Erfahrung mit einem Aufarbeitungsprozess, sagt der Rechtsanwalt. »Vor etlichen Jahren bin ich mit Fällen sexualisierter Gewalt im Zusammenhang mit christlicher Seelsorge konfrontiert worden, die sich in allernächster Nähe abgespielt haben«, so Zimmermann, der selbst nicht betroffen war. Ein wesentlicher Aspekt der Aufarbeitung damals sei Konsolidierung gewesen, »für mich bereits damals Kritikpunkt und berechtigtes Bedürfnis zugleich«. Der Rechtsanwalt mit Kanzlei in Wilsdruff meint: »Ich glaube fest daran, dass wir bei einer guten Aufarbeitung gerade durch die dunklen Schatten auch wieder das Licht erkennen können – Licht und Schatten gehören auch so herum zusammen.«
Die zeitliche Begrenzung der Kommissionsarbeit auf ein Jahr helfe ihnen, in überschaubarer Zeit tätig zu werden und sich zu fokussieren, sagen die Mitglieder. Gregor Mennicken betont, dass Aufarbeitung nie abgeschlossen sei.
Wir möchten bis Heiligabend mit Ihnen zurückblicken auf spannende Themen und Artikel, die Sie nur im Abo lesen konnten. 24 davon stellen wir Ihnen im Advent kostenlos bereit. Blicken Sie mit uns zurück, was uns dieses Jahr alles beschäftigt hat. Dieser Artikel erschien im DER SONNTAG, Nr. 5 | 30.1.2021. Möchten Sie mehr lesen? Alle Sonntagsthemen finden Sie bequem in unserem Abo. Ob gedruckt oder digital – Verpassen Sie keinen Artikel mehr. Bestellen Sie jetzt unter: https://www.sonntag-sachsen.de/aboservice
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Impressionen Frühjahrssynode 2024
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.