Sterndeuter der Großgemeinde
Struktur: Mit dem Jahreswechsel hat die Landeskirche ein Fünftel ihrer Kirchgemeinden verloren. Sie wurden aufgelöst und sind in größeren Verbünden aufgegangen, wie es die Strukturreform verlangt. Spitzenreiter der Vereinigungen ist Oschatz, wo aus 27 Gemeinden eine wurde.Ein Abendmahlskelch von 1691 – Kay-Uwe Bauroth trägt ihn feierlich in die große St. Aegidien-Kirche von Oschatz. Normalerweise geht der 59-Jährige nicht in der Großen Kreisstadt Nordsachsens zum Gottesdienst. Er ist Kirchvorsteher im 15 Kilometer entfernten Schmannewitz, zudem Küster und Vorsitzender des örtlichen Mühlenvereins. Doch in dem Dorf an der Dahlener Heide, mit Rüstzeitheim und Kurklinik gibt es jetzt keine eigene Pfarrstelle mehr. Die Gottesdienste werden weniger. Der über 300 Jahre alte Abendmahlskelch kommt seltener zum Einsatz. »Von 680 Einwohnern sind noch 320 in der Kirche«, sagt Bauroth.
Mit dem Schmannewitzer Kelch geht der Lehrer durch den Mittelgang von St. Aegidien hin zum Altar. Er gehe mit gemischten Gefühlen, wie er sagt. Denn der Kelch symbolisiert den Beitrag seiner Kirchgemeinde für eine neue Großkirchgemeinde Oschatzer Land. Insgesamt 27 Gemeinden geben ihre rechtliche Selbständigkeit auf, um eine neue große Einheit zu bilden. Weitere Kirchvorsteher bringen Kelche und Abendmahlsteller für das gemeinsame Abendmahl – aus einem Gemeindegebiet von etwa 35 Kilometer Ausdehnung. Bis vor 20 Jahren war das Oschatzer Land noch ein eigener Kirchenbezirk mit 12 000 Gemeindegliedern. Jetzt sind es noch 7000 und sie bilden seit dem Jahreswechsel eine einzige Kirchgemeinde mit 44 Kirchen, 43 Friedhöfen und rund 70 angestellten Mitarbeitern. »Viele Kirchvorsteher meiner Gemeinde sind skeptisch«, sagt Bauroth über die Veränderung. Es gebe viele Gründe dafür und dagegen.
Auch Pfarrer Markus Gnaudschun kennt einige, die die Großgemeinde nicht wollen. In seiner Predigt vor etwa 500 Gemeindegliedern spricht er auch von ihnen, von »nicht wenigen Baustellen« sowie von einem holprigen Vereinigungsweg. Mit einem Gebet für den Neuanfang bittet die Gemeinde um Vergebung. »Wir brauchen Gottes Zuspruch und Segen für diesen neuen Schritt«, heißt es im Gottesdienst.
Ausschlaggebend für die Vereinigung war die Struktur- und Stellenplanung der Landeskirche. Denn angesichts sinkender Gemeindegliederzahlen werden auch die Stellen der Mitarbeiter reduziert: Alle fünf Jahre fallen zehn Prozent aller Stellen in der Landeskirche weg: rund 50 Vollzeit-Pfarrstellen, 22 volle Stellen Gemeindepädagogik, 15 Kantorenstellen. Das Oschatzer Land hat nun sieben Pfarrstellen, sechs Gemeindepädagogen und vier Kantoren – genug, um zehn Jahre ohne eine Vereinigung mit weiteren Gemeinden arbeiten zu können.
Damit die Vereinigung zu einer Sternstunde für die Gemeinde wird, liegen in den Kirchenbänken gelbe, blaue und grüne Sterne. Darauf sollen die Gemeindeglieder ihre Freuden, Wünsche und Ängste schreiben. Auf vielen der weit über 100 Sterne finden sich später Wünsche wie »volle Kirchen« und »mehr Mithelfer«. Nun liegt es an den Sterndeutern, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Aus jeder früheren Kirchgemeinde ist ein junger Sterndeuter mit nach vorn gekommen. Auch so soll die neue Einheit symbolisiert werden. Doch sie tragen auch stolz ihre Kronen. Heißt es jetzt Abschiednehmen von den kleinen Königreichen?
»Das kirchgemeindliche Leben wird vor Ort stattfinden«, schreibt Pfarramtsleiter Christof Jochem im Gemeindebrief. Auch die Verwaltung soll an mehreren Orten vertreten sein, künftig aber spezialisiert nach Bereichen. Die 43 Friedhöfe werden gemeinsam verwaltet. »Das erfordert Führungs- und Leitungskompetenz«, sagt der gerade in den Ruhestand verabschiedete Superintendent Arnold Liebers. Hier müsse die Landeskirche in Qualifizierung investieren. Liebers hofft, dass die neue Struktur die Pfarrer von Verwaltung entlaste. Zumindest sind alle 70 Mitarbeiter nur noch bei einer Gemeinde angestellt.
Der Schmannewitzer Kay-Uwe Bauroth ist einer der 16 Kirchvorsteher für die Großgemeinde. »Weil sonst niemand aus der Gemeinde wollte«, sagt er beinahe entschuldigend. Steht er auch wieder bereit, wenn im Herbst in der Landeskirche alle Kirchenvorstände neu gewählt werden? »Nächste Frage«, sagt er abwehrend, packt den Abendmahlskelch in seinen Beutel und nimmt ihn mit zurück nach Schmannewitz. Vieles hängt jetzt vom weiteren Vereinigungsprozess ab. Der läuft gerade in sehr vielen Kirchgemeinden der Landeskirche.
Dieser Artikel erschien im DER SONNTAG, Nr. 02 | 12.1.2020. Möchten Sie mehr lesen? Alle Sonntagsthemen finden Sie bequem in unserem Abo. Ob gedruckt oder digital – Verpassen Sie keinen Artikel mehr. Bestellen Sie jetzt unter: https://www.sonntag-sachsen.de/aboservice
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