Nichts wie raus aus Ninive
Christen fliehen im Irak vor der Islamistentruppe ISIS. Mossul, dem biblischen Ninive, droht der Verlust seiner letzten Kirchen – der Erzbischof aber will keinen neuen Krieg.Die Wahrheit ist manchmal teuflisch schillernd. Als in der Nacht auf den 10. Juni der »Islamische Staat im Irak und in Syrien« (ISIS) in Mossul seine schwarze Fahne hisste, berichteten christliche Hilfswerke in Deutschland von der Flucht tausender Christen und Muslime.
Sie berichteten auch von hunderten abgeschlachteten Menschen auf den Straßen und von umstellten Klöstern – davon aber hat sich nichts bestätigt. Dafür weiß der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul, Amel Shamaaoun Nona, von folgender Begebenheit: Während die ISIS-Truppen die Drei-Millionen-Stadt einnahmen, überfielen Räuber die Heilig-Geist-Kirche. »Daraufhin haben in der Nähe wohnende muslimische Familien die islamistischen Kämpfer gerufen, die die Plünderer aus der Kirche vertrieben«, berichtet der Erzbischof den päpstlichen Missionswerken.
Das ist das Schillernde: Die ISIS ist für Kreuzigungen, Auspeitschungen und andere brutale Strafen berüchtigt – doch im Internet sieht man Einwohner Mossuls den Islamisten und ihren sunnitischen Verbündeten zujubeln, denn die sunnitische Mehrheit in der Stadt fühlt sich schon lange vom schiitischen Präsidenten benachteiligt. Sie hofft auf Ordnung und Gerechtigkeit.
»Ich verstehe, dass die Menschen Freiheit wollen«, sagt der Bischof des Matthäus-Klosters in Bartella nahe Mossul, Vater Kyriakos Johanna, dem britischen »Telegraph«. Anzeichen, dass Christen und ihre Kirchen von der ISIS in Mossul angegriffen werden, sieht er wie andere Beobachter bislang nicht.
Es ist auch fast niemand mehr von ihnen da. »Im Jahr 2003 lebten noch 35 000 Gläubige in Mossul, Anfang 2014 waren es noch 3000«, sagt Erzbischof Nona. Fast alle seien Hals über Kopf geflohen. Außer ein paar Alte und Kranke. Sie sind nun die letzten Erben einer uralten Geschichte: Mossul steht auf den Mauern des biblischen Ninive. Die Christen hier sprechen in der Liturgie Aramäisch, die Sprache Jesu.
Doch nachdem der wiedergeborene Christ George W. Bush 2003 den Irak vom Diktator Saddam Hussein befreien wollte, haben zwei Drittel der Christen angesichts von Wut auf die »Kreuzfahrer«, islamistischem Bombenterror und Entführungen das Land verlassen. Mossuls Christen fliehen dieser Tage in die christlichen Dörfer der heißen Ninive-Ebene, in Schulen, Gemeindesäle und verlassene Häuser. Dort gibt es ein paar hundert Mann starke christliche Milizen, die von kurdischen Kämpfern unterstützt werden. Doch es geht auch die Angst um, von den Islamisten überrannt zu werden.
Was das bedeuten würde, zeigt sich in der von der ISIS beherrschten syrischen Stadt Raqqa: Christen müssen dort eine hohe Gold-Steuer zahlen, dürfen ihre Symbole und Gebete nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen, keine Glocken läuten. Halten sie sich nicht daran, drohen die Islamisten: »Nichts wird bleiben zwischen ihnen und ISIS außer das Schwert.« Sie rissen die Kreuze von den Kirchen und hissten auf ihnen ihre schwarze Fahne.
Macht die Spirale der Gewalt auch die Christen radikaler? Den Mittwoch vergangener Woche hatte der chaldäische Patriarch zum Tag des Fastens ausgerufen. »Wir werden mit den Kindern und den Familien zum heiligen Herzen Jesu dafür beten, dass der Frieden auch in unseren Herzen erhalten bleibt«, sagt Erzbischof Nona im Dorf Tilkif, wo es mittlerweile an Wasser und Strom fehlt. »Militärische Interventionen tragen nicht zur Lösung der Probleme bei. Es muss geduldig nach einer gemeinsamen Sprache gesucht werden, damit wir Instrumente für einen Dialog finden, an dem alle Iraker beteiligt sind.«
Es ist für den Erzbischof in diesen Tagen nicht leicht, Hoffnung zu bewahren. Am Ende des biblischen Buches Jona spricht Gott selbst: »Und mich sollte nicht jammern Ninive?«
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