Die Wahl der Wenigen
Am Sonntag wählen die meisten Kirchgemeinden Sachsens ihre Vorstände – doch Wahlbeteiligung und vielerorts auch die Zahl der Kandidaten sind gering. Das hat Gründe.Als die Beteiligung an der sächsischen Landtagswahl vor knapp zwei Wochen unter 50 Prozent sackte, waren viele erschrocken. Für die Kirche wäre das unerreichbar hoch. Wohlmeinende Schätzungen gingen bei der letzten Wahl neuer Kirchenvorstände 2008 von einer Wahlbeteiligung über 14 Prozent aus – das wäre schon viel, wenn man bedenkt, dass durchschnittlich nur acht Prozent der sächsischen Protestanten einen Gottesdienst besuchen.
»Die Wahlbeteiligung ist verbesserungswürdig, das ist ein Problem«, sagt der juristische Dezernent der Landeskirche, Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig. Statistiken darüber führt die Landeskirche nicht. Offenkundig bleibt auch bei der Kirchenvorstandswahl die Kerngemeinde unter sich.
5013 Kirchenvorsteher wurden vor sechs Jahren gewählt, darunter 2080 Frauen. Doch mancherorts war es vor der Neuwahl am 14. oder 21. September schwierig, Kandidaten für das Leitungsamt zu finden. Dabei hatten viele Kirchgemeinden die Zahl ihrer Vorsteher vorsorglich bereits verringert.
»Wahl heißt nicht immer Auswahl«, sagt dazu der Jurist Klaus Schurig aus dem Landeskirchenamt. »Sie kann auch die Bestätigung der vorgeschlagenen Kandidaten sein.«
Ein Grund für die Scheu vor dem Kirchenvorstand sind die Strukturreformen der letzten Jahre, die immer größere Kirchgemeinden, Kirchspiele und Schwesterkirchverbände hervorbrachten. »Diese großen Strukturen sind ziemlich ehrenamtsfeindlich«, sagt ein Kirchvorsteher, der deshalb bei der Neuwahl nicht kandidiert. »Es gab so viele komplexe Fragestellungen, Gezerre um Personal zwischen den verschiedenen Gemeindeteilen sowie Investitionen, die schnell in die Millionen gehen – das überfordert einen Kirchenvorstand an zwei Abendstunden. Und es geht an die Grenze dessen, was ein Ehrenamtlicher guten Gewissens verantworten kann.«
Früher war alles überschaubarer: Ein Kirchenvorstand war für sein Heimatdorf zuständig – man kannte sich oft schon seit Kindheitstagen. »Jetzt gibt es in den größeren Strukturen oft ganz unterschiedliche Prägungen, auch in der Frömmigkeit«, hat Joachim Wilzki von der Ehrenamtsakademie der Landeskirche beobachtet, der Kirchenvorstände berät.
Hinzu kommen ganz handfeste Verteilkämpfe: Welches Pfarrhaus wird aufgegeben, wo findet noch Jugendarbeit statt und wo darf der Pfarrer wie viele Gottesdienste feiern? »Die Kirchvorsteher sind ständig am Ausgleich von unterschiedlichen Interessen, das ist anstrengend.«
Dabei gibt es durchaus auch Christen in Sachsen, die gern für den Kirchenvorstand kandidiert hätten – nur dürfen sie nicht. Die Altersgrenze von 68 Jahren werde in einer älter werdenden Gesellschaft immer wieder kritisch angefragt, heißt es im Landeskirchenamt. Eine Anhebung aber sei nicht geplant. Und dann gibt es da noch die Kandidaten, die Pfarrer gar nicht gern sehen, weil sie als hauptamtliche Mitarbeiter in einem arbeitsrechtlichen Konflikt mit ihren Gemeinden stehen. Von drei derartigen Fällen weiß man im Landeskirchenamt.
Anders als bei Wahlen in der Politik gibt es bei Kirchenvorstandswahlen vielerorts noch etwas Besonderes: einen Trostpreis für die Nicht-Gewählten. Sie werden vom neuen Kirchenvorstand in das Leitungsgremium berufen – bis zu ein Drittel der Sitze können so besetzt werden. Doch das »sollte vermieden werden«, empfiehlt eine Handreichung des Landeskirchenamtes zur Wahl. Lieber sollte nach Kompetenzen und Personen Ausschau gehalten werden, die bisher in dem Leitungsgremium noch nicht vertreten sind. Denn wenn auch Nichtgewählte am Ende gewählt werden – wozu dann noch eine Wahl?
Zahlenkolonnen, Schimmelbildung im Pfarrhaus, schwere Einschnitte – nicht nur im Radeberger Land ist die Arbeit im Kirchenvorstand hartes Brot. Und einer muss den Raum verlassen. Die ganze Reportage über die Innenansicht eines Kirchenvorstands lesen Sie im SONNTAG-Digital-Abo hier.
Impressionen Frühjahrssynode 2024
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.