Die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland könnte sich einer wissenschaftlichen Prognose zufolge bis zum Jahr 2060 halbieren. Wie Finanzwissenschaftler der Universität Freiburg berechneten, werden bei einer Fortsetzung der zurückliegenden Mitgliederentwicklung in rund 40 Jahren nur noch 22,7 Millionen Menschen einer der großen christlichen Kirchen angehören. Im Jahr 2017 zählten katholische und evangelische Kirche zusammen noch 44,8 Millionen Mitglieder. Die am Donnerstag veröffentlichte Prognose basiert auf der demografischen Entwicklung und der Annahme, dass sich die Trends bei Taufen sowie Ein- und Austritten fortsetzen.
Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) rechnet mit einer ähnlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Landeskirche. Sie hat aktuell rund 940.000 Mitglieder. Der Präsident des Konsistorium Jörg Antoine erklärte zu der Prognose, die Freiburger Studie zeige, vor welchen Herausforderungen die Kirche in den kommenden Jahrzehnten stehe. »Das Evangelium ist eine Botschaft an die Welt, die auch zukünftig aktuell bleiben wird.« In den vergangenen Jahren habe die EKBO daran gearbeitet, »mit Reformprojekten und neuen Ideen unsere Botschaft besser zu vermitteln«. »Auf der anderen Seite stellen wir uns aber auch auf zurückgehende Mitgliederzahlen ein«, betonte Antoine. Eine hierzu eingesetzte Strukturkommission habe bereits verschiedene Vorschläge erarbeitet.
Das Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) der Freiburger Universität hat für die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auch berechnet, wie sich die Höhe der Kirchensteuer bis 2060 verändern wird. Demnach werden beide Kirchen im Jahr 2060 rund zwölf Milliarden Euro an Kirchensteuern zur Verfügung haben. Das ist fast ebenso viel wie im Jahr 2017, obwohl sich die Zahl der Mitglieder halbieren wird. Zu erklären ist das laut den Forschern hauptsächlich durch steigende Löhne und Gehälter in den kommenden Jahrzehnten.
Allerdings werden sich die Kirchen trotz der voraussichtlich weitgehend gleichbleibenden Einnahmen wegen des Kaufkraftverlustes nur noch die Hälfte des Bisherigen leisten können. Damit sich die Kirchen von ihren Steuereinnahmen im Jahr 2060 den gleichen »kirchlichen Warenkorb« leisten können wie 2017, bräuchten sie Kirchensteuereinnahmen in Höhe von knapp 25 Milliarden Euro, heißt es in der Studie.
Während im Jahr 2017 noch mehr als jeder Zweite einer der beiden Kirchen angehörte, wird es im Jahr 2060 voraussichtlich nur höchstens jeder Dritte sein, legt man die Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts zugrunde. Für die Forscher ist dabei entscheidend, dass der Grund für die sinkenden Mitgliederzahlen nicht allein in der demografischen Entwicklung liegt. Weil mehr Menschen aus der Kirche austreten und zugleich immer weniger Kinder getauft werden, fehlt es der Kirche an gläubigem Nachwuchs.
Der Leiter der Studie, Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, rät den Kirchen, gezielt nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie das Tauf- und Austrittsverhalten der Gläubigen beeinflussen können. Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sieht einen Spielraum, auf die vorhergesagte Entwicklung noch Einfluss zu nehmen. »Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon«, sagte er. Für den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, ist die Studie ein »Aufruf zur Mission«.
Für die Finanzgremien beider Kirchen ist die Studie ein Weckruf. »Ansporn statt Entsetzen« – so formulierte der Finanz-Chef des katholischen Erzbistums Berlin, Bernd Jünemann, seine Reaktion auf die Forschungsergebnisse. Die zentrale Botschaft sei, dass beide Kirchen die Entwicklung noch beeinflussen könnten. EKD-Ratsmitglied Andreas Barner sagte: »Es ist fünf vor zwölf. Wir müssen jetzt handeln.« Wenn man das Austrittsverhalten beeinflussen wolle, müsse die Kirche jetzt aktiv werden.
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