»Ich kann hier alles leben«
Jüdisches Leben in Leipzig ist 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gut möglich
Die Kippa trägt Jakow Kerzhner selbstverständlich auch zu Hause. Wenn er lacht, rutscht die schlichte runde Kopfbedeckung manchmal ein wenig zur Seite. »Sie soll uns daran erinnern, dass es noch ein höheres Geschöpf als uns selbst gibt«, erklärt der 35-Jährige, während sein fünfjähriger Sohn immer wieder versucht, auf seinen Schoß zu klettern. Auch das Kind trägt schon die traditionelle Kopfbedeckung, denn Kerzhner und seine Frau sind gläubige Juden und Teil der rund 1300 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde in Leipzig.
Dass es heute wieder Menschen wie Kerzhner in Leipzig gibt, ist 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht selbstverständlich. Nach Angaben der Initiative »Jüdisches Leipzig« wurden zur Zeit des Nationalsozialismus rund 15 000 Menschen aufgrund ihrer jüdischen Abstammung verfolgt. Etwa 2000 wurden von 1942 bis 1945 in Lager deportiert, nur etwa 220 von ihnen überlebten und kehrten zurück.
Kerzhner stammt aus der Ukraine, in seiner Jugend kam er nach Sachsen. Gründe für die Auswanderung habe es viele gegeben, sagt der Maler und Grafiker, vor allem wirtschaftliche. »Ab und zu mal antisemitische Stimmung«, murmelt Kerzhner, er will nicht gern über die negativen Seiten des Jüdischseins sprechen. Während seiner Schulzeit in Taucha habe es immer wieder Witze über Juden gegeben, auch Späße über den Holocaust. Bei einem Aufsatz über Vorbilder hätten drei Schüler Hitler gewählt. »Das war aber Anfang der 90er«, wiegelt Kerzhner ab. »Leipzig ist eine ruhige Stadt«, bekräftigt er. »Alles, was zu mir als Juden gehört, kann ich hier leben.«
Der ruhige Mann lebt strikt nach den Geboten seines Volkes. Jeden Morgen geht er in die Synagoge, das Essen ist koscher, zum heiligen Sabbat ruht er – das heißt, kein Telefon, kein Computer, eigentlich darf nicht einmal der Lichtschalter betätigt werden. Dabei sind seine Eltern säkular, die Tradition spielt für sie zwar eine Rolle, aber nicht so sehr die Religion. In Leipzig fing Kerzhner an, sich für das Judentum zu interessieren, las viele Bücher, wollte mehr wissen. »Irgendwann ist es dann der Sinn meines Lebens geworden«, sagt er. Heute ist er im Vorstand der Gemeinde, zuständig für Religionsfragen. Seine Bilder handeln oft von Eindrücken aus seinem Leben als Jude. Eine Serie hat er über Hochzeiten gemacht. Das sei immer ein Fest für die ganze Gemeinde, meint Kerzhner.
Auch den Sohn erzieht er mit seiner Frau nach den Regeln des jüdischen Glaubens. Der Fünfjährige kommt bald in die Schule, notgedrungen muss er auf eine normale Grundschule gehen. Denn die jüdische Gemeinde betreibt zwar einen Kindergarten, aber keine weiterführende Bildungseinrichtung. »Vielleicht gibt es ja zumindest einen Hort für den Nachmittag«, wünscht sich der Vater. Alles, was mit der jüdischen Erziehung zu tun habe, sei ihm sehr wichtig.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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