Ein Luther für den Islam?
Auch Muslime müssten angesichts des IS-Terrors endlich eine Reformation durchführen, heißt es im Westen. Dabei gab es sie längst – der Terror ist eines ihrer Kinder.Nach den islamistischen Terroranschlägen von Paris tat das christliche Abendland einmal wieder, was es ohnehin gerne tut: Es predigte der Welt von einer hohen Kanzel herab. »Der Islam braucht eine Reformation«, hieß die nicht ganz neue Losung. Was meint: Liebe Muslime, holt endlich nach, was wir vor 500 Jahren schon erledigt haben.
Dabei hat der Islam längst eine Reformation erlebt – und das Ergebnis ist verheerend. Es heißt Wahhabismus, Salafismus, die Welt zittert vor ihnen. Wie konnte das geschehen?
Salaf ist das arabische Wort für den Vorfahren. Ein Salafist orientiert sich radikal am Wortlaut seiner Heiligen Schrift und den Überlieferungen der ersten Glaubensgenerationen – in seiner harten Kritik an gewachsenen Traditionen und Volksglauben ähnelt er den christlichen Reformatoren: Allein die Schrift! Es begann in einer arabischen Oasenstadt mit dem Gelehrten Muhammad ibn Abd al-Wahhab im 18. Jahrhundert, der Heiligenverehrung und Wallfahrten strikt ablehnte und durch eine Rückkehr zum Wortlaut des Korans den Islam reinigen wollte. Den Wahhabismus benutzte der saudische Emir zur Einigung seines Reiches. Heute gebiert er den Terror.
Das wird auch der andere große Vater des Salafismus nie gewollt haben: Jamal al-Din al-Afghani. Ein 1838 in Persien geborener Querdenker, der sich selbst als muslimischer Martin Luther sah. Die islamische Welt lag schon im 19. Jahrhundert darnieder – entweder unter dem Joch der europäischen Kolonialmächte oder eines morschen osmanischen Kalifats. »Ich kämpfe für eine Reformbewegung im heruntergekommenen Orient, wo ich Willkür durch Recht, Tyrannei durch Gerechtigkeit und Fanatismus durch Toleranz ersetzen möchte«, das war al-Afghanis Programm.
Seine islamische Reformation war durchaus liberal. Wie Luther nutzte er die modernen Medien seiner Zeit und warb für eine Bildungsrevolution. »Der wahre Geist des Koran steht vollkommen im Einklang mit modernen Freiheiten«, daran glaubte er. Den Grund für die muslimische Misere sah al-Afghani in der Verunreinigung des Islams, auch er wollte wie sein Vorbild Luther zurück zu den Quellen. Doch der Kalif in Istanbul lies den Reformer ebenso wie die britischen Kolonialherren aus dem Land werfen. Eine Chance blieb ungenutzt.
So verhärteten sich die Fronten, aber der Funken war in der Welt. Al-Afghanis Schüler gründeten 1928 die Muslimbruderschaft, seine Schriften inspirierten die Islamische Revolution im Iran. Heute gilt er als geistiger Vater des politischen Islam, der friedlichen Kämpfer für eine säkulare Demokratie – aber auch von Osama bin Laden und seinen terroristischen Nachahmern, betont der indische Autor Pankaj Mishra, Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung.
»Wer von der muslimischen Religionsgemeinschaft eine Reformation protestantischen Maßstabes einfordert, der darf sich über den innerislamischen Religionskrieg nicht wundern und auch nicht beschweren«, schreibt Muhammad Sameer Murtaza, Islamwissenschaftler bei der Stiftung Weltethos. »Man kommt nicht umhin, eine Parallele zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und den derzeitigen Schlachtfeldern im Irak und Syrien zu ziehen.«
Al-Afghani scheiterte mit seiner menschenfreundlichen Reformation, weil er anders als Luther keine politisch Mächtigen für sie gewinnen konnte. Das aber ändert sich gerade. Angesichts des IS-Terrors fordert der ägyptische Präsident al-Sisi – ähnlich wie der jordanische König – eine »religiöse Revolution« und »Aufklärung« im Islam. Beide sind alles andere als lupenreine Demokraten. Das aber waren Luthers Fürsten auch nicht.
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