Gefährliche Schere
Die Kluft zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter wie eine Schere. Was sind die Gründe und was sind die Folgen? Es geht um Kolonnen von Zahlen – und die Menschen hinter ihnen.![](https://www.sonntag-sachsen.de/sites/default/files/styles/article/public/field/image/2015_10/2015_10_90561.jpg?itok=vT4DwAlh)
Der Mann ist voll von heiligem Zorn. »Rücksichtslos unterdrücken sie die Menschen und nehmen ihnen ihr Eigentum weg«, schreibt er in einem Brandbrief über die wachsende soziale Kluft in seiner Gesellschaft. Der Mann heißt Micha, von Berufung Prophet in Judäa, und sagt Gottes hartes Urteil über diese Entwicklung voraus. Rund 2700 Jahre ist das her. Hat sich dieses Problem heute erledigt?
Wer sich auf die Suche nach einer Antwort macht, muss sich durch Statistiken und Zahlenkolonnen wühlen. Ein genaues Bild ist nicht leichter zu bekommen. Auf den ersten Blick sieht es gut aus: Die Zahl der Erwerbstätigen steigt in Sachsen seit einigen Jahren, die der Arbeitslosen im Freistaat fiel von 296 000 vor sechs Jahren auf heute 198 000 – selbst wenn man wie die Diakonie noch die 62 000 Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen dazurechnet, bleibt ein leichtes Minus. Während vor zehn Jahren 594 000 Sachsen von einer Mindestsicherung wie Arbeitslosengeld II leben mussten, waren es vor zwei Jahren noch 439 000. Und die Löhne steigen.
Bei genauerem Hinsehen aber zeigt sich: Bei allem Job-Wachstum bleibt die Zahl der Langzeit-Arbeitslosen und der Erwerbslosen über 55 Jahren stabil. Und ein großer Teil der neuen Jobs sind schlechter bezahlte Teilzeitstellen – vor allem für Frauen.
Eines wächst ohnehin noch schneller als die Löhne und die Zahl der Arbeitsplätze: das Vermögen der besonders reichen Deutschen. Eine frisch veröffentlichte Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) errechnete das Gesamtvermögen der Deutschen auf 9,3 Billionen Euro – ein Drittel davon gehöre allein dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung. Demgegenüber verfügt ein Fünftel der Deutschen über gar kein Vermögen, fanden die DIW-Forscher im letzten Jahr heraus. Ihr Fazit: Die deutsche Ungleichheit der Vermögen ist die gravierendste in der gesamten Euro-Zone – und sie wächst vermutlich seit Jahren weiter, weil sich Kapital und Unternehmensgewinne schneller vermehren als Löhne.
Also gewinnen alle, nur die einen mehr? Es gibt auch Verlierer, und es sind viele: Alleinerziehende haben die geringsten Vermögen, stellt eine DIW-Studie fest, Ostdeutsche besitzen weniger als die Hälfte von Westdeutschen, Arbeitslose haben als Folge von Hartz IV deutlich eingebüßt. Die staatlichen Sozialleistungen – 2013 immerhin 665 Milliarden Euro – mildern die Ungleichheit nach Ansicht der Berliner Wissenschaftler zwar etwas. Doch selbst diese Summe sei in den letzten zehn Jahren um zwei Prozent geschmolzen, trotz steigender Preise.
Die Folgen beschreibt der jüngst veröffentlichte Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: 15,5 Prozent der Einwohner Deutschlands – 12,5 Millionen Menschen – bezeichnet er als arm, weil sie über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügen. Unter den Kindern betreffe dies gar 19,2 Prozent – und beide Zahlen steigen seit Jahren. Rund 90 000 Kinder leben allein in Sachsen nach Angaben der Arbeitsagentur von Hartz-IV-Leistungen.
Die Armutsquote im Freistaat verharrt nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bei 18,8 Prozent der Bevölkerung. Während sie in der Dresdner Region fällt, steigt sie in der Lausitz.
Der Riss in der Gesellschaft ist mit bloßen Augen zu sehen. Am augenfälligsten in den sächsischen Großstädten, in denen Arm und Reich zunehmend in Wohnvierteln unter sich bleiben. In den meist bürgerlich geprägten Kirchgemeinden ist es genauso. Und aus den Ergebnislisten der Wahlen lässt sich leicht ein Mietspiegel erstellen: Je niedriger die Mieten der Wohnungen in einem Viertel, desto geringer die Wahlbeteiligung.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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