Wie die Landeskirche vor 70 Jahren ihr Nazi-Erbe aufarbeitete oder verdrängte, erzählt auch etwas über ihren Umgang mit Konflikten und Schuld – nicht nur damals.
Amtseinführung mit Hitlerjungen: Der deutsch-christliche Landesbischof Friedrich Coch 1934 auf dem Weg zur Dresdner Frauenkirche. 1945 starb er in amerikanischer Gefangenschaft. ©
Ullstein Bild (Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl)
Im Mai 1945 war das Dresdner Landeskirchenamt zerstört. Eine Stunde Null aber gab es nicht. Die Nazis waren noch da, auch in der Kirche. In den Trümmern der Dresdner Zentrale nahm der von den Deutschen Christen verdrängte Konsistorialrat Erich Kotte das Steuer in die Hand und berief den von Dresdner Pfarrern neu gewählten Superintendenten Franz Lau als geistlichen Leiter der Landeskirche. Zwei Männer mit Wurzeln in der Bekennenden Kirche und Kritiker der Nazi-nahen Deutschen Christen (DC).
Doch wie mit dem braunen Erbe umgehen? Das Landeskirchenamt musste als öffentlich-rechtliche Körperschaft schnell dem Beispiel des Staates folgen und alle Verwaltungsbeamten und Angestellten entlassen, die schon vor 1933 NSDAP-Genossen oder hohe Funktionäre, Spitzel oder Mitglieder von SS und SA waren. Bei Pfarrern aber galten weichere Maßstäbe.
»Die Kirche muss kirchlich handeln«, schrieb Landessuperintendent Lau Mitte Juni 1945 seinen Pfarrern. »Und sie muss mit Liebe handeln. Es muss darauf ankommen, die DC-Brüder zurückzubringen in die kirchliche Gemeinschaft.« Nur als Pfarramtsleiter oder Superintendent sollten Deutsche Christen und NSDAP-Mitglieder umgehend zurücktreten.
Lau rief alle Kirchenbezirke auf, Vertrauenskreise aus unbelasteten Superintendenten, Pfarrern und Kirchenbeamten zu bilden, um über DC- und NSDAP-Theologen zu entscheiden.
Es ging vor allem um ein Kriterium: Wie stark haben sie mit ihrer Nähe zur NS-Ideologie die Verkündigung des Evangeliums verfälscht – und wollen sie sich wirklich ändern? Die Gräben des Kirchenkampfes zwischen Deutschen Christen, Bekennender Kirche und so genannter »Mitte« wollte die neue Kirchenleitung mit Brüderlichkeit überbrücken. Härte hatte es unter Hitler genug gegeben.
Doch Schuldbewusstsein entwickelten nur wenige Nazi-Pfarrer. »Wer hat 1933 nicht die Möglichkeit eines guten Aufbruches der Kirche gefühlt und auch ersehnt?«, schrieb etwa der Kreischaer Pfarrer Karl Krause an Lau.
Um so empörter waren Mitglieder der Bekennenden Kirche. Es dürfe »doch auch nicht sein, dass eine arme kleine Stenotypistin ihre Stelle verliert, weil sie Parteimitglied war«, und ebenso belastete Geistliche dürften weiterarbeiten, schrieb die Leipzigerin Wally Ruland dem Landeskirchenamt. Der Wurzener Superintendent Magirius meinte: »Man scheint in der bekannten sächsischen Gemütlichkeit über die ernsten Fragen hinweggleiten zu wollen.«
Auf Druck von Sowjets und Landesverwaltung forderte das Landeskirchenamt im Oktober 1945 alle Pfarrer auf, eine Erklärung über ihre Stellung zum Nationalsozialismus abzugeben. »Die Säuberung geschah mehr oder weniger als Reaktion und nicht als Aktion«, stellt der Leipziger Kirchenhistoriker Markus Hein in seinem Buch über die Selbstreinigung der Pfarrerschaft fest. 71 Fälle von schwer belasteten Pfarrern gaben die regionalen Vertrauenskreise an zwei Ausschüsse des Landeskirchenamtes zur Beurteilung, andere waren zuvor in den Ruhestand gedrängt worden. 13 Superintendenten und 53 Pfarrer wurden Mitte November 1945 ihrer Ämtern enthoben – 16 von ihnen waren 1950 wieder im Dienst.
Das ganze Ausmaß der deutschen Schuld blitzte bei all dem nur hin und wieder auf. »Wir haben solche Zorngerichte des heiligen und gerechten Gottes wohl verdient«, schrieb das Leipziger Konsistorium im August 1945 an die Gemeinden. »Besonders das viele, arme Menschenblut, das vor und neben dem Krieg her durch deutsche Menschen vergossen wurde, schreit von der Erde zum Himmel und verklagt uns!« Meist aber schaute die Kirche nur in eine Richtung: nach innen.
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