Daran erkennt ihr mich
Wahl: Viele Parteien werben für Gerechtigkeit – nur meinen sie oft ganz Verschiedenes. Für den Gott der Bibel ist Gerechtigkeit die Schwester des Glaubens. In der Kirche ist das nicht immer so.Wird das Wort Gerechtigkeit lauter, ist der Wahlkampf nicht weit. Das Praktische für Parteien ist daran, dass jede in diesen Großbegriff etwas anderes packen kann: »Gleichheit« fordern die einen, »Leistung muss sich lohnen« die anderen, und wieder andere werben für eine globale Gerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern. Oder zwischen Generationen.
Für Dorothea Klein von der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative Leipzig hat Gerechtigkeit ein ganz konkretes Gesicht – oder besser: fehlende Gerechtigkeit. Es ist das Gesicht der Scham. Denn zwei Drittel der Menschen, die sie mit ihren Kolleginnen berät, gehen arbeiten – und sind trotzdem auf staatliche Unterstützung angewiesen. Wegen Niedriglöhnen, Teilzeit-Stellen, befristeten Jobs. Dazu steigen in den Städten die Mieten rapide.
»Auch wenn Arbeitslosigkeit grundsätzlich sinkt, heißt das nicht, dass die Armut weniger wird«, sagt die Beraterin und Theologin Dorothea Klein. Betroffen sind oft alleinerziehende Mütter. Und zunehmend Rentner. Zeitgleich wächst laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung die Kluft zwischen Arm und Reich weiter. Und die Wirtschaft boomt.
»Doch von unserer Kirche höre ich dazu sehr wenig«, sagt Dorothea Klein. »Dabei haben wir aus theologischer Sicht einen eindeutigen Auftrag, uns um die Geringsten und Bedürftigsten zu kümmern und ungerechte Strukturen zu bekämpfen.« Gott und Gerechtigkeit: für die Bibel ist beides nicht zu trennen. Einzig an der Gerechtigkeit zeige sich, ob Gott ein wahrer Gott ist, heißt es im Psalm 82: indem er den Armen und Bedürftigen »Recht schafft« und den Geringen »errettet«. Auch für die Gläubigen ist das der biblische Maßstab: Den Elenden und Armen zu ihrem Recht zu helfen – »heißt dies nicht, mich recht erkennen?, spricht der HERR« (Jeremia 22,16).
Was Gerechtigkeit nicht ist: eine nette Zugabe zur Frömmigkeit, die hässliche politische Schwester des Eigentlichen. »Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder!«, lässt der Prophet Amos Gott über festliche Gottesdienste urteilen, »es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach« (Amos 5).
Aber was meint der Gott der Bibel mit Gerechtigkeit? Zuallererst eine Einsicht: dass jedem aller Reichtum letztlich geschenkt ist, so wie Gott einst seinem Volk Israel das gelobte Land geschenkt hat. Dass jeder Anspruch auf ein würdiges Leben hat. Keine Gleichmacherei, aber eine Absage an allen Hochmut der selbsternannten Leistungsträger. Und Gott beließ es nicht bei freundlichen Appellen, er schuf Gesetze: Aller sieben Jahre sollten die Israeliten allen Gläubigern die Schulden erlassen, um die in Armut führenden Kreisläufe zu unterbrechen. »Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein«, sagt Gott im 5. Buch Mose.
Jesus machte mit dieser Art von Gerechtigkeit ernst. Er ging zu den Verachteten, Armen, Frauen und Kindern, lebte mit ihnen, heilte und half. Auf Augenhöhe, nicht als Almosen. »Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.« Weil Gottes Logik ganz anders ist als die Logik der Leistung, wie Jesu Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg zeigt. Das war für ihn das Reich Gottes. Paulus sah das nicht anders (Römer 14,17). Und doch bekam das Wort Gerechtigkeit bei ihm einen neuen Dreh: es wurde privatisiert. Und meinte fortan die Erlösung von Sünde und Tod. Und die Kirche folgte Paulus bereitwillig, je reicher und mächtiger sie wurde.
Nicht nach kirchlichen Strukturreformen oder Luther-Jubiläen werden wir einst gefragt werden, ist sich die Leipziger Arbeitslosenberaterin Dorothea Klein sicher, »sondern ob wir uns um die Armen gekümmert haben.«
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