Als Juden gejagt wurden
Pogrom: Die in Chemnitz, Leipzig und Dresden eröffnete Ausstellung »Bruch/Stücke« zeigt erstmals das gesamte Ausmaß der Novemberpogrome von 1938 in Sachsen.In Dippoldiswalde hängten sie Johanna Wallach ein Pappschild mit der Aufschrift »Jude« um den Hals und trieben sie durch die Stadt. In Großröhrsdorf demolierten sie das Textilkaufhaus von Curt und Regina Schönwald. In Neustadt wollten sie Kaufmann Eric Israel auf einem Wagen, an dem »Judenschwein« stand, durch die Stadt fahren. Er konnte rechtzeitig fliehen. In Bad Muskau überfielen sie den Kaufmann Sally und seine Frau Rosa Teitelbaum in ihrer Wohnung. Am Abend erhängte sich das Paar am Fensterkreuz.
Dass auch in Kleinstädten wie diesen im November 1938 Mitbürger gedemütigt, ihre Geschäfte und Wohnungen verwüstet, sie vertrieben, einige auch getötet wurden, ist selten von dort nach draußen gedrungen. Bislang konzentrierte sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die brennenden Synagogen in den Großstädten. Die Ausstellung »Bruch/Stücke« will diese Lücken schließen.
Das Material dafür hat Daniel Ristau über Jahre hinweg zusammengetragen. In fast 60 Orten in Sachsen wurden Menschen vom 9. bis 11. November 1938 aufgrund der Rassentheorie der Nazis verfolgt, hat der 38-jährige Dresdner Historiker ermittelt. Er bündelte eigene und Erkenntnisse der Lokalhistoriker zur ersten sächsischen Gesamtschau der Novemberpogrome.
Von fast fünf Millionen Sachsen waren nach der Volkszählung 1925 etwas mehr als 23 200 jüdischen Glaubens. Von ihren brennenden Bethäusern lenkt die Schau den Blick auf die Menschen. Auf 16 Rollbannern berichten Fotos, Dokumente und kurze Texte über Schicksale, nicht nur der Opfer, auch der Täter. Über Johannes Clemens etwa, Leiter der Dresdner Außenstelle des Sicherheitsdienstes (SD) der SS. Er beteiligte sich an der Demütigung von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, machte später Karriere im Reichssicherheitshauptamt, nach 1945 beim Bundesnachrichtendienst (BND) und als Doppelagent für den sowjetischen KGB.
Auch Zuschauer kommen zu Wort. Günter Rösch etwa stand damals als Neunjähriger vor der brennenden Synagoge in Zittau. »Gejubelt hat niemand, aber auch nicht gelöscht«, erinnert er sich. Der Elfjährige Rudolf Hirsch, mit allen Schülern vom nationalsozialistischen Schuldirektor zur Dresdner Synagoge beordert, sah, wie Silberzeug aus der Ruine getragen wurde.
Ebenso jedoch erfährt man von jenen wenigen, die ihren jüdischen Mitbürgern halfen, sie warnten oder gar versteckten. In Weißwasser stellte sich ein Heizer SA-Leuten in den Weg, die eine Wohnung stürmen wollten. »Das ist mein Haus. In dem wird nichts kaputtgemacht«, wies er sie zurück. Ein Lehrer in Zittau zog seine Soldatenuniform über, legte das Eiserne Kreuz an, stellte sich vor den Laden seines Bekannten Fritz Jacobi und erklärte anrückenden SA-Männern, dies sei kein jüdisches Geschäft.
Mit Blick auf diese Ereignisse vor 80 Jahren müsse man die jüngsten Angriffe auf Migranten oder ein jüdisches Restaurant in Chemnitz als »Menetekel an der Wand« betrachten, sagt Nora Goldenbogen, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresden, zur Eröffnung. Zwar wiederhole Geschichte sich nicht einfach. »Aber wir als Demokraten müssen zeigen, dass wir uns gegen so etwas wehren können.«
Die Schau ist mit jeweils regionalen Schwerpunkten zeitgleich auch in Leipzig und in Chemnitz zu sehen. Mit ihren transportablen Bannern soll sie wandern. Wo sie Station macht, können Lokalhistoriker sie ergänzen. Heimatforscher Michael Düsing mit seiner Geschichtswerkstatt hat das für Freiberg getan. »Das mögen nur kleine Bruchstücke sein«, sagt Daniel Ristau. »Aber in der Menge ergeben sie ein Bild.«
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