Trägt der Pazifismus noch?
Krieg und Frieden: Über dem Kirchentag lag spannungsvoll die Debatte um die Waffenlieferungen an die Ukraine. Es wurde durchaus um eine tragfähige christliche Friedensethik gerungen – allerdings selten im direkten Austausch.Diese Frage war schon vor dem Beginn des Kirchentags in Nürnberg ein heißes Eisen: Wie soll sich die Kirche im Umgang mit dem Ukraine-Krieg positionieren? Soll Frieden mit oder ohne Waffen geschaffen werden? Das vorläufige Ergebnis: Auf dem Kirchentag waren die Stimmen für die Unterstützung waffenbasierter Interventionen in der Ukraine stärker und prominenter. In einem Interview vor dem Kirchentag sagte Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere: »Natürlich verlängert eine Waffenlieferung das Töten und Sterben. Wenn man das ablehnt, muss man sich aber im Klaren sein, dass der Preis dafür wahrscheinlich Unfreiheit ist. Letztlich geht es also um die Frage: Ist Frieden oder Freiheit wichtiger? Für mich ist Freiheit wichtiger als Frieden. Das ist mein Vorwurf an den Pazifismus.« Pazifistisch gesinnte Christen bedauerten indessen die kurzfristige Kirchentagsabsage Margot Käßmanns, die als profilierte Pazifistin gilt. Programmatisch wurde der Kirchentag am Mittwoch auf dem Nürnberger Hauptmarkt mit einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet, der vor 20 000 Kirchentagsbesuchern sagte: »Auch ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich einmal sagen würde: Neben all den anderen Anstrengungen, es ist auch Zeit für Waffen.« Dafür gab es zunächst Zwischenrufe aus der Menge, bis andere Besucher zu applaudieren begannen.
Gegen so prominent vorgetragene Waffenbejahung wirkten die Äußerungen waffenkritischer Christen auf dem Kirchentag irgendwie unbeholfen und einsam. Außerhalb der Messehallen stehen einzelne Vertreter der Deutschen Friedensgesellschaft und verteilen Handzettel mit einem Satz Margot Käßmanns: »Ich bin überzeugt, dass die Kirche irrt, wann immer sie Gewalt legitimiert. Jesus Christus war kein Revolutionär mit der Waffe in der Hand. Er hat Frieden gepredigt, nicht Krieg, Feindesliebe, nicht Hass. Die Kirchen sollten sich nicht dazu missbrauchen lassen, Kriege und Waffengänge zu legitimieren, sondern sich querstellen und die Friedensfahnen hochhalten.«
Doch auf dem größten anberaumten Podium zu dem Thema unter der Frage »Welchen Frieden wollen wir?« waren am Freitag in der Frankenhalle wieder diejenigen in prominenter Überzahl, die für eine Friedensschaffung durch Waffeneinsatz und Waffenlieferungen eintraten. Unter Beifall rechtfertigte der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer die Waffenlieferungen unter anderem damit, dass er vor einer Woche in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem gestanden und dabei die Verantwortung gespürt habe, »die auf uns Deutschen liegt und dass wir handeln und das Dilemma verantwortungsethisch auflösen müssen«. Auch Staatssekretär Sven Giegold (Grüne) betonte: »In dieser verantwortungsethischen Situation sind wir verpflichtet, Waffen zu liefern.« Begründung: »Ich möchte, dass wir auf die Stimme derer hören, die aggressiv überfallen wurden. Es ist nicht unsere Aufgabe, für die Opfer zu entscheiden, wie lange sie sich verteidigen.« Demgegenüber mahnte der EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer auf dem Podium zwar an, dass Waffen immer weitere Opfer produzieren und eine massive Verstärkung diplomatischer Initiativen zur Erwirkung eines Waffenstillstands nötig sei. Doch er erhielt nicht nur geringeren Beifall, sondern auch den vereinten Widerspruch des ganzen Podiums. Sven Giegold erwiderte: »Es wird ständig verhandelt, leider ist das Ergebnis, dass Herr Putin nicht friedensfähig ist.« Und Carsten Breuer erklärte, man könne nur aus einer Position der Stärke überhaupt erst in die Position der Verhandlungen kommen und brauche das Militär als Abschreckungspotential. Schließlich betonte die badische Landesbischöfin Heike Springhart, dass auch der Zweite Weltkrieg durch militärische Hilfe beendet worden sei – er »wäre nicht am Verhandlungstisch zu Ende gegangen«. Sie erinnerte zudem daran, dass Jesus auf der Seite der Opfer stehe. Fast schon verzweifelt erklärte Kramer, dass Jesus auf der Seite aller Opfer stehe und dass das menschliche Leben ein so hoher Wert sei, dass es keinen Tag länger verschwendet werden dürfe und eine sofortige Waffenruhe das Ziel sein müsse. Doch das erschien an diesem Nachmittag wie eine einsame Utopie. Breuer stellte klar: »Das ist ein Angriffskrieg, den Russland führt und der durch Russland jederzeit beendet werden kann.« Und Bischöfin Springhart erklärte den göttlichen Frieden zum unerreichbaren Ziel: »Wir werden ihn nie erreichen, nicht mit Waffen, nicht ohne Waffen, aber er bleibt der große Horizont.«
Anders klang es auf einem kleineren Podium am Samstagvormittag in der Nürnberger Jakobskirche. Hier saßen neben Friedrich Kramer die Friedenstheologen Fernando Enns und Heinz-Gerhard Justenhoven sowie die Friedensarbeiterin Andrea Zemskov-Züge auf der Bühne. Eindringlich warnte Enns davor, sich in diesen Zeiten in die Logik der Gewalt zu verstricken und die Spur der Gewaltüberwindung aus dem Blick zu verlieren. Er kritisierte die Rechtfertigung von Waffenlieferungen durch deutsche Kirchenleitende und fragte: »Ist das die Stimme Jesu Christi in diesem Kontext: ›Schießt sie nieder?‹ Oder ergeben wir uns damit nicht vielmehr der Schlange, die sagt: ›Jetzt geht es nur noch so?‹» Er forderte dazu auf, »das böse Spiel nicht mitzumachen«. Denn aus christlicher Sicht müsse es dabei bleiben: »Krieg ist keine Option!« Und: Das Böse solle mit Gutem überwunden werden. So beschrieb er auch die Position der weltweiten Ökumene, in der versucht werde, alle Gesprächskanäle offen zu halten und sich dabei nicht nur auf die oberste Reihe kirchlicher und politischer Repräsentanten zu beschränken. Denn diese seien oft »nationalistisch verstrickt«.
Eindrücklich mahnte die in der Ukraine und in Russland aktive Friedensarbeiterin Andrea Zemskov-Züge von der Friedensorganisation OWEN, das Leid beider Seiten im Blick zu haben und den Verfeindungen zu widerstehen. »Ich fühle mich sehr zerrissen«, erklärte sie und fuhr fort: »Wir dürfen uns nicht auf Waffenlieferungen konzentrieren. Wir müssen mit allen Seiten reden und in Verbindung bleiben, auch streiten. Wir können uns nicht auf eine Seite stellen, sondern müssen dem Frieden nachjagen und die Zweiseitigkeit durchhalten.« Sie warb für konkrete Unterstützungen der Notleidenden und forderte den Einsatz für die Verteidigung und Sicherung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung auf allen Seiten. Auch lobte sie die Aktion »Call a Russian« (»Telefonier' mit einem Russen«). Es müsse um das Zur-Sprache-Bringen von Erfahrungen gehen und nicht bloß um den Austausch politischer Positionen – dann könne Verständigung gelingen. Im Widerspruch zu der am Vortag geäußerten Ansicht von Bischöfin Springhart sagte Zemskov-Züge: »Ich glaube, dass Gottes Frieden in uns ist und wir versuchen müssen, ihn zu verwirklichen. Und dazu gehört, mit denen zu reden, die mir zuwider sind, die nicht meiner Meinung sind und dass man sich nicht in so einer Gerechtigkeit einnistet.«
Auch wenn letztlich die Befürworter des Slogans »Frieden schaffen mit Waffen « auf diesem Kirchentag deutlicher präsent waren, konnten sich andere Stimmen immerhin artikulieren. Um einen wirklichen Diskurs herbeizuführen, hätte man aber mindestens die beiden beschriebenen Podien miteinander verbinden müssen
Teilnehmer: 43
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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