Sehnsucht nach Heimat
Heimat ist ein vielfach ge- und missbrauchter Begriff. In Zeiten der Entwurzelung kommt ihm eine neue Bedeutung zu. Für Christen hat das Wort dabei auch eine Glaubensdimension – im Jenseits wie im Diesseits.Seit dem 19. Jahrhundert ist das Wort Heimat emotional aufgeladen. Zuvor war es ein reiner Verwaltungsausdruck, der das Wohn- und Bleiberecht näher definierte. Wer kein Heimatrecht besaß, durfte auch nicht heiraten. In seiner Grundbedeutung stand das alte germanische Wort »haima« für ein »Wohnrecht mit Schlafstelle im Haus«. Erst die Romantiker machten daraus einen Sehnsuchtsbegriff. Im Zuge der Industrialisierung schufen sie eine Gegenwelt zu der lebensfeindlichen Umgebung der Großstadt. Im Ruhrgebiet konnte man kaum noch atmen, in den Dörfern von Tieck und Eichendorff hingegen schon.
Je stärker man den Heimatbegriff mit Gefühlen auflud, desto mehr geriet er aber ins Diffuse. War Heimat nun ein Ort oder mehr eine Idee? Musste man an diesem Ort geboren sein oder konnte er auch irgendwo anders liegen? Schließlich: Konnte es eigentlich nur eine Heimat geben oder waren auch mehrere Heimaten vorstellbar?
»Die erste Heimat, in die man geboren wird und wo man aufgewachsen ist, erhält man geschenkt. Die zweite Heimat muss man sich aktiv aneignen«, hat einmal der Schriftsteller und Philosoph Hartmut Sommer gesagt. Er sprach vor allem denen aus dem Herzen, die nicht am Ort ihrer Kindheit blieben. Die freiwillig oder notgedrungen in die Ferne gingen und dort mehr oder weniger erfolgreich Wurzeln schlugen.
Viele Juden waren vor 1933 in Deutschland zu Hause. Sie hatten dem Land sogar im Ersten Weltkrieg gedient, doch ganz plötzlich verwandelte sich ihre Heimat in eine feindliche Umgebung, die sie nicht wiedererkannten. Wer noch konnte, floh und fand seine neue Heimat in den USA oder in Israel.
Die meisten Menschen assoziieren Heimat mit Worten wie Vertrautheit und Geborgenheit. Der Ort, an dem die Familie ist, Nachbarn und Freunde wohnen. Wo man die Sprache spricht, die einem in die Wiege gelegt wurde. Wo die Leute leben, die einen verstehen und mit denen man über dieselben Dinge lachen kann.
Das Gegenbild dazu ist die Fremde. Nicht wenige Menschen, die in ein anderes Land auswandern, müssen bitter erfahren, wie schwer es ist, dort heimisch zu werden. Beherrscht man die Sprache nicht, wird eine Integration fast unmöglich. Um sich wenigstens ein bisschen heimisch zu fühlen, bleiben sie dann unter sich. Viele Gastarbeiter der ersten Generation sind so nie ganz in Deutschland angekommen.
Bis heute nicht ausgedient hat freilich die nationalistische Komponente des Heimat-Begriffs. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg wurde das Wort Heimat immer mehr auch vaterländisch aufgeladen. Die Nationalsozialisten trieben es auf die Spitze und integrierten den Begriff in ihre Blut- und Boden-Ideologie. Bis heute versucht die politische Rechte, das Wort Heimat für ihre Zwecke einzusetzen.
Der politische Missbrauch hat dem Heimat-Begriff ebenso geschadet wie seine Verkitschung in den 1950er-Jahren durch Heimatfilme und Folklore-Veranstaltungen. Nicht wenige der Trachten, die man in Bayern oder Baden-Württemberg als uraltes Brauchtum hochhielt, waren in Wahrheit Erfindungen des 19. Jahrhunderts. Das alles jedoch konnte den Begriff Heimat letztlich nicht auslöschen. »85 bis 90 Prozent verbinden damit etwas Positives«, sagt die Literaturwissenschaftlerin Susanne Scharnowski, die ein Buch mit dem Titel »Heimat. Die Geschichte eines Missverständnisses« geschrieben hat. Darin plädiert sie ausdrücklich für die Rehabilitierung eines Begriffes, der für sie zu Unrecht verteufelt wurde. Man müsse ihn eben mit zeitgemäßen Inhalten aufladen statt ihn der politischen Rechten zu überlassen.
Für viele Christen freilich hat der Begriff Heimat auch noch eine ganz andere Dimension: So wichtig die Heimat auf Erden auch sein mag, die letztendliche Heimat der Menschen liegt am Ende im Himmel. Das kommt auch in dem Lied von Paul Gerhardt »Ich bin ein Gast auf Erden« zum Ausdruck. Dort heißt es: »So will ich zwar nun treiben, mein Leben durch die Welt, doch denk ich nicht zu bleiben in diesem fremden Zelt. Ich wandre meine Straßen, die zu der Heimat führt, da mich ohn alle Maßen, mein Vater trösten wird.«
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