Danket dem Wurm
Erntedank: Die Ansicht, alle Geschöpfe seien für den Menschen da, hat in eine tiefe Krise geführt. Es ist höchste Zeit für Respekt vor jedem Geschöpf, auch dem kleinsten.»Das alles hat Gott für uns gemacht …« – so klingt es an vielen Orten zum Erntedankfest und es ist ein christliches Vorurteil, dass alles, was ist, letztlich für den Menschen gemacht sei: ihm zur Freude, zum Nutzen. Die Schöpfung und ihre Wesen stünden dieser Anschauung nach dem Menschen ungefragt zur Verfügung. Letztlich hätten doch Tiere keine Seele und seien moralisch wertfrei. So werden jedes Jahr in Deutschland für den menschlichen Konsum täglich eine Million Tiere getötet. Der Mensch hat alles Maß verloren, außer er stößt an objektive Grenzen: erschöpfte Ressourcen, ausgelöschte Arten oder das Klima spielt nicht mehr mit … Papst Franziskus geißelt dieses Verhalten des Menschen in seiner Schöpfungsenzyklika »Laudato si« von 2015 als selbstmörderisch. Er beklagt, dass der moderne Mensch über keine Spiritualität und Ethik verfüge, die ihm Grenzen setzt und zur Selbstbeschränkung verhilft. Franziskus gehört zu den Stimmen, die zur Umkehr aufrufen, weil uns das Wasser am Halse steht. Es geht um ein neues Denken, das den Menschen nicht als alleinigen Mittelpunkt und Nutznießer der Schöpfung sieht. Wir wissen auch, welche unserer Lebensgewohnheiten hier zur Diskussion stehen.
Papst Franziskus selbst tritt in diese Leerstelle und schlägt in seiner Enzyklika »Laudato si« neue Töne an: »Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir«. Alle Geschöpfe dieser Erde haben vielmehr einen Eigenwert und eine Würde, die ihnen von Gott verliehen ist. Sie gehen mit uns gemeinsam auf die Fülle des Lebens in der neuen Welt zu und sind kein »herrenloses Gut«, mit dem man machen könne, was man wolle. Auch das geringste Geschöpf spiegelt in seinem »gottgegebenen Eigensein« etwas von Gott wider.
Und nun stellen wir die uns vertraute Welt einmal auf den Kopf und fragen, welche Rolle die unbedeutendsten Geschöpfe im Weltganzen spielen: die Insekten, Würmer, Käfer, Spinnen, Ameisen und Bodenlebewesen und wir werden feststellen, dass sie die tragenden Kräfte des Ganzen sind. Der Mensch ist allein Profiteur und Hasardeur. Bezeichnenderweise schrieb Charles Darwin sein letztes Werk über die Regenwürmer. Aller Mutterboden sei zuvor durch sie hindurch gegangen und ehe der Mensch den Boden pflügte, haben die Regenwürmer die Erde um und um gepflügt. Wir verdanken ihnen die Böden. »Man kann wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutungsvolle Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben, wie diese niedrig organisierten Geschöpfe«, so Darwin.
Zum Erntedankfest wäre ihnen zu danken für ihr unermüdliches Wirken an den Grundlagen des Daseins. Albert Schweitzer hat sie als unsere »geringsten Brüder« bezeichnet, denen wir mit Achtung und Ehrfurcht zu begegnen haben. Wir sollten uns anrühren lassen vom Geiste Jesu, der immer den Blick für die Geringsten hatte und in den Kleinsten das Große sah. Es sind besonders die Kinderlieder, die diesen Blick und dieses Herz haben, wenn es dort zum Beispiel heißt, dass Gott »Mücklein und Fischlein« beim Namen rief.
Wer Augen hat zu sehen, weiß, dass nach Regengüssen Straßen und Wege voller Regenwürmer liegen, die das Regenwasser dorthin gespült hat. So auch auf der Straße vor unserem Haus. Am Morgen nach dem Regen, ehe der Verkehr einsetzt, gehe ich hinaus und sammle die bewegungsunfähigen Würmer auf, ehe sie von Autoreifen zermalmt werden oder in der Sonne vertrocknen. Dann setze ich sie auf die Erde. Es ist für mich ein Akt der Demut vor diesen Geschöpfen, in denen ich den gleichen Willen zum Leben wie in mir entdecke. Es ist für mich ein Akt der Dankbarkeit. Ich will das, was sie für uns Menschen tun, nicht als selbstverständlich ansehen. Aber es mag auch, wovon Albert Schweitzer oft sprach, ein Zeichen der Wiedergutmachung sein für viel Leid, das der Mensch den Tieren angetan hat und noch antut. Liebe Leserinnen und Leser, ich bitte Sie, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben, es mir gleichzutun. Sehen Sie es als Ihre Erntedankgabe auf dem Lebensaltar des Schöpfers.
Pfarrer Dr. Ulrich Seidel ist Vorsitzender der Aktion Kirche und Tiere (AKUT e. V.).
Teilnehmer: 60
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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