»Das gehört aufgedeckt!«
Missbrauch: Erstmals haben Betroffene von Missbrauch vor der Landessynode gesprochen. Ein Bericht bescheinigt der Landeskirche den Ausfall von Schutzmechanismen. Bilz spricht von »Reinigungsfeuer«Sie erschüttern mit perversen Details, fordern Konsequenzen, klagen ihr Leid – und sie klagen an: Betroffene des sexuellen und geistlichen Missbrauchs in Sachsen haben am Wochenende vor der Landessynode in Dresden kein Blatt vor den Mund genommen. Vier Männer und eine Frau sprechen aus, was jahrzehntelang unsagbar war, was ihnen bis heute oft nicht geglaubt wird und wofür ihnen bisweilen noch die Worte fehlen. Und die Landessynode hört zu, über Stunden.
Erst seit drei Jahren wird – aufgrund von Presseberichten – überhaupt öffentlich in der Landeskirche darüber gesprochen, was etwa im erzgebirgischen Pobershau in den 90er Jahren oder im früheren Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) in den 60er bis 80er Jahren Kindern und Jugendlichen angetan wurde. Die Männer berichten von Übergriffen in den Genitalbereich während der Beichte durch den früheren Diakon und Jugendwart Kurt Ströer (1921–2013) während seiner Jugendarbeit. Katharina Wagner sowie die Vertreter der Unabhängigen Aufarbeitungskommission Pobershau erzählen von Berührungen an Brust und Po durch einen Musiker in der Kurrende.
Während der eine Fall mit mehreren betroffenen Frauen in einer Art Pilotprojekt schon weitgehend aufgearbeitet ist und der Abschlussbericht vorliegt, ist der Ströer-Fall mit bislang 36 bekannten betroffenen Männern noch weit davon entfernt. Trotzdem hören die 80 Landessynodalen und viele Gäste schon einen ersten Abschlussbericht über die »theologische Aufarbeitung des Handelns von Kurt Ströer«. Der Bericht bestätigt das, was die Betroffenen der Landeskirche längst vorwerfen: »Ausfall von institutionellen Schutzmechanismen« heißt es im Bericht angesichts des Ausmaßes »des körperlichen und spirituellen Missbrauchs, der Kurt Ströer vorgeworfen wird und von ihm selber nicht bestritten worden ist«. Betroffene sagen, Hinweise auf Übergriffe seien nicht weitergeleitet worden.
Neben der »unbefriedigenden Fachaufsicht « sind »die Gefahrenpotenziale der Seelsorge Kurt Ströers« laut Bericht auch »begründet in seiner gestörten Persönlichkeit«. Einzelbeichte und exorzistische Handlungen seien bei Ströer die dominierenden Mittel der Seelsorge gewesen und »für einen manipulativen Gebrauch offen«, stellen die Theologen fest. Ströer habe dadurch bei den Kindern und Jugendlichen »eine quasi göttliche Autorität« genossen, was den Missbrauch begünstigen könne, heißt es. Nach den Worten der Betroffenen habe Ströer diese Stellung und Abhängigkeitsverhältnisse für seine Bedürfnisse ausgenutzt und das Leben junger Menschen »verstümmelt und zerstört«, wie es Matthias Uhlig formuliert. »Die Kirche muss Verantwortung übernehmen«, fordert er.
Landesbischof Tobias Bilz dankt den Betroffenen, dass sie öffentlich über ihr Leid sprechen und sich so hartnäckig an die Landeskirche wendeten. »Mir wird bewusst, dass wir Ihnen, verehrte Betroffene, immer wieder nicht gerecht werden. Ich gestehe das ein und es tut mir sehr leid!« Der Bischof forderte dazu auf, nach dem Hören auch aktiv zu werden. »Wir brauchen eine Kultur der Transparenz und wir müssen auch Machtfragen stellen«, sagte er. In seinem Bischofsbericht vor der Synode formulierte er zu diesem Thema: »Wenn verwerfliches Handeln, etwa sexualisierte Gewalt, sich mit Frömmigkeit vermischt, dann haben wir es mit einer schlimmen Form der Heuchelei zu tun. Es hilft nichts, das gehört aufgedeckt!« Die Landeskirche erlebe im Moment »so etwas wie ein Reinigungsfeuer«.
Der Sprecher der Aufarbeitungskommission Pobershau, Psychotherapeut Gregor Mennicken, fordert, Strukturen für die Aufarbeitung zu schaffen und proaktiv ins Handeln zu kommen. Laut Landeskirchenamt gibt es 54 Betroffene, die Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen von der Landeskirche bekommen haben. In dem Zusammenhang wisse die Landeskirche von 25 beschuldigten Personen. Darunter, so Gregor Mennicken vor der Synode, seien »zum Teil bekannte Kirchenleute«. Im Januar könnte die wissenschaftliche Forum-Studie dazu weitere Aufklärung bringen.
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