Ostern als Kraft der Versöhnung
Kreuz und Auferstehung: Zu Ostern wird das Geheimnis Gottes gefeiert, dass sein Leben und seine Versöhnung stärker sind als Tod und Schuld. Was bedeutet das angesichts der aktuellen Kriege?»Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen will und kann«, schrieb Dietrich Bonhoeffer 1944. Nach zu vielen bösen und immer böseren Überraschungen, ein schwacher Trost? Nein, vielmehr die Kernaussage von Karfreitag und Ostern. Stehen wir also Rede und Antwort!
Die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen mag für viele der zwischen 1945 und 1990 geborenen Mitglieder dieser Völker ein Beispiel für Bonhoeffers Bekenntnis sein. »Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.« Diese Bitte des polnischen Episkopats (1965), der Kniefall Willy Brandts am Ehrenmal des Warschauer Ghettos (1970) – das waren erste öffentliche Zeichen der Aussöhnung. Aus ihnen formte sich jene Sprache der Aussöhnung, die 1990 in einen Grenzvertrag mündete. Lange zuvor schon, das wissen wir heute, gab es Fürbitten einzelner Christen diesseits und jenseits der Oder-Neiße-Linie: Die beiden Völkern möchten sich mit Gott versöhnen lassen, um miteinander ausgesöhnt zu werden.
Was Menschen in der Bitte um Versöhnung erwarten, ist, dass Gott Frieden schaffen wird, weil er bereits Frieden geschaffen hat. Bevor Aussöhnungen öffentliche Praxis werden, muss die Kraft der Fürbitte um Versöhnung Gottes gewesen sein. Solche Bitten gerinnen zum neuen Erbarmen Gottes, das Unmögliches geschichtlich möglich macht: Dass sich die österliche Versöhnung zur gegenwärtigen Aussöhnung hin öffnet – angesichts noch so gewaltsamer Zerstörungen der Menschlichkeit.
Der Gott Jesajas lässt den Israeliten im babylonischen Exil kundtun: »Mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten« (Jes 43,24). Dieser prophetische Satz umreißt das Geheimnis, die Kraft, die in der Versöhnung Gottes wirkt: Geschichtliche Verbrechen werden vor Gott als Sünde bekannt und erkannt. Wer anders könnte zwischen das Kollektiv der Sünder und ihre Sünde treten, als Gott, der Schöpfer. Er macht die Sünde der Geschöpfe zur eigenen Arbeit und Mühe.
Eine Aussöhnung zwischen den aktuellen Kriegsparteien der Ukraine und Putin-Russlands scheint heute unwahrscheinlich. Jede verbindliche zwischengesellschaftliche Sprache der Aussöhnung fehlt. Doch haben wir begonnen, in die Fürbitte andere Völker und Christentümer aufzunehmen? Oder ist das Alphabet der Versöhnungslehre ausschließlich in lateinischen Buchstaben verfasst, nicht in kyrillischen Buchstaben? Und nicht auch in hebräischen und arabischen Buchstaben?
Die Arbeit an neuen Sprachen der Aussöhnung beginnt erneut. Keine Aussöhnung ohne Arbeit an der Schuld – vor Gott und (unterschieden davon) vor Menschen; ohne strafrechtliche, historische und moralische Schuldzurechnung; ohne das religiöse Schuldbekenntnis, das vor Gottes Angesicht bekennt.
Die jüngste Papst-Initiative zum Einfrieren des russisch-ukrainischen Konflikts war politisch voreilig und vorzeitig. Sie verkannte die Härte der Schuld in der Tiefe des Konflikts. Aber: »Wenn wegen der Sünde des Einen der Tod geherrscht hat durch den Einen (Adam), um wie viel mehr werden die, welche die Fülle der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, herrschen im Leben durch den Einen, Jesus Christus« (Röm 5,17). Die orgiastische Herrschaft des Todes in der Ukraine, in Israel, im Gaza-Streifen, in den »neuen Kriegen« übersteigt das Vorstellbare. Die Gabe des Versöhners, um wie viel größer, ermächtigt die Lebenspraxis der Versöhnung. Mag für politische Aussöhnungen noch nicht die Zeit gekommen sein – die Zeit zur Fürbitte um Versöhnung, die Zeit zur Feier von Ostern als Versöhnung ein-für-allemal ist jetzt! Dieses »Um wie viel größer« ist der österliche Glaube: Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen will und kann – an Ostern 2024.
Heinrich Assel ist Theologieprofessor an der Universität Greifswald. Er ist Autor einer dreibändigen Elementaren Christologie (Band 1: Versöhnung und Neue Schöpfung. Gütersloh 2020). Die Universität Kopenhagen ernannte ihn 2023 zu ihrem Ehrendoktor.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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