Dem Wahn der Waffen entkommen
Kunst: Anlässlich des Katholikentages mit dem Motto »Zukunft hat der Mensch des Friedens« (29.5.–2.6.) erscheint ein Band mit Grafiken und Essays. Ein Vorabdruck des Beitrages von Stefan Seidel.Wie waffenstarr liegt die Welt. Martialisch, monströs, megaloman wüten die Waffen an so vielen Orten. Hochtechnisierte Mordwerkzeuge, deren Tötungskapazität immer höher und höher geschraubt wird, gaukeln der Welt das Heil vor: Sicherheit, Schutz, Wehrhaftigkeit, Sieghaftigkeit, Durchschlagskraft, Erfolg, Frieden. Täglich tönen diese Versprechen durch alle Kanäle. Hört und sieht denn keiner die große Versuchung dahinter, den großen Versucher? Er, der »Fürst dieser Welt«, triumphiert in diesem grassierenden Wahn, die Welt mit Waffen retten und gestalten zu wollen.
Es ist das Wesen des Satans in der Bibel, dass er zunächst unerkannt als Versucher an die Menschen herantritt, als der große Heilsversprecher, dessen Fassade glänzt und dessen Maske makellos ist – dessen wahre Wirkung jedoch die große Durcheinanderbringung, die große Zerstörung und Verwirrung ist, das Unheil. Der Teufel, so heißt es im Matthäusevangelium, führte Jesus auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen. Und weiter heißt es: Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Wie aktuell ist diese Geschichte. Fantastisch und zwingend erscheinen die Versprechen derer, die auf Waffen setzen: Sieg, Menschenlebenrettung, Freiheit, Sicherheit, Zukunft, schlicht »das Gute« – all das wurde und wird immer wieder und wieder mit den Waffen verbunden. Und so werden sie gebaut und geliefert und eingesetzt und nachgebaut, nachgeliefert und wieder eingesetzt. Und sie türmen sich auf, die Waffenarsenale und die Waffenüberreste, genauso wie die von ihnen verursachten Berge von Toten. Und deren Blut schreit zum Himmel und keiner hört die Frage Gottes: »Mensch, wo bist du?«
Die Waffen verbauen Auswege. Sie verunendlichen die Gewalt und Gegengewalt. Sie führen in ein endlos verwirrtes Labyrinth, das zu keinem Ziel führt außer zu Tod, Schmerz, Trauer, Leid, Elend, Not, Zerrüttung, Rache, Schuld – ein wahres Reich der Finsternis. Wie ein wahnsinniger Turmbau zu Babel erscheinen die massenhaften Waffen und Waffensysteme dieser Welt, die gegen alles bessere Wissen immer und immer wieder locken mit dem anmaßenden Glauben, irgendetwas Gutes und Förderliches erreichen zu können.
Doch sie klingen so süß, diese Versprechen derer, die auf die Waffen setzen: dass eine Hinwendung zu den Waffen der einzig gebotene Weg in eine gute Zukunft sei. Sie locken und brillieren im Reden und Verführen: Vertraut den Waffen, vertraut den Waffen, glaubt es nur: Je größer die Zerstörungsmacht und Tötungseffektivität der eigenen Waffen und Kämpfer, desto sicherer der Sieg, desto glorreicher die Zukunft, desto gefestigter die Freiheit. Sie wollen glauben machen, dass die Abschreckung mit Waffen ein friedvolles und gesichertes Leben bringt. Und sie scheuen sich dabei nicht, dieses in seinen Folgen immer wieder so monströs blutige Programm in die leuchtenden Farben höchster Werte zu kleiden. Wir wenden uns zu den Waffen. – Und die Waffen wenden sich zu uns. Irgendwann offenbaren sie ihre furchtbare Fratze, die lange übertüncht war von den vollmundigen Heilsversprechen.
Wer spricht von der unkontrollierbaren Entfesselungsdynamik der Waffen? Wer von dem unendlich hohen Preis des Siegens? Es ist ein viel zu hoher Preis. Wie naiv ist doch der Glaube, Waffen seien wie Medikamente, die nach ihrem Einsatz Heilung und Gesundheit bewirkten? Wie vermessen ist doch die Vorstellung, das Operieren mit tödlicher Zerstörungsmacht wirke nicht irgendwie und irgendwann auf einen selbst zurück? Wie töricht und jahrhundertelang blutig widerlegt ist dieser blinde Glaube an die Waffen … Es ist und es bleibt so: Der Weg der Waffen und der Kriegslogik ist verheerend ausweglos, brutal, unmenschlich, unkontrollierbar, zerstörerisch und selbstzerstörerisch. Er führt in den Strudel endloser Zerstörung und unbegrenzter Volten der Gewalt – und nicht mehr aus ihnen heraus.
Wie nun, man entlarvte endlich diese Martialität des Bösen und erkennte hinter der glatten Maske das wahre Wesen der Waffen, das todbringend, friedenverhindernd, endlos verwirrend ist? Es bliebe nur das eine Heilmittel: »Weg mit dir, Satan!« – eine konsequente Desidentifikation mit den Logiken und Mustern der Gewalt. Eine Ausrichtung auf Gegenbilder und Gegenrealitäten. Ein Aufbruch nach anderswo. Ein Versuch, den Frieden zu leben. Einen Weg bietet der Nazarener: Jesus wies die verführerische Logik der Gewalt und Macht konsequent zurück. Er ritt demonstrativ auf einem Esel in Jerusalem ein – entwaffnend waffenlos zog er eine rettende Schneise in die waffenstarre Welt, eröffnete einen Ausweg, zeigte den einzig gangbaren Weg zur Beendigung der Gewalt und zum befriedeten Zusammenleben: Der Gewalt kategorisch abzuschwören, nicht dem Bösen zu widerstehen, die Feinde zu lieben, nicht in die Gegengewalt, sondern in eine Verwandlung der Situation durch andere Muster einzusteigen. Kurz: Endlich ernstzumachen mit dem Frieden, der nicht nur das Ziel ist, sondern der Weg. Denn das Böse wird nicht mit Bösem überwunden, sondern allein durch Liebe.
Buchauszug aus: Martin W. Ramb; Holger Zaborowski (Hrsg.): Krieg. Mit Illustrationen von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht. EOS Verlag 2024, 19,95 €.
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