Revolutionäre gesucht
Wohl nur der Mauerfall als Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte ist ähnlich gut beschrieben wie die Leipziger Tage im Oktober 1989. In denen die Bürger mündig wurden und Demokratie erkämpften. Zu den hier erstmals gezeigten Bildern fragen wir: »Erkennen Sie sich wieder?«Das ist sie. Eine Werra.« Alexander Bischoff wiegt eine kleine Kamera in der Hand, gut geschützt in originaler Lederhülle. Mit diesem Fotoapparat hat er am 7. Oktober 1989 Zeitgeschichte auf Film gebannt: Fotos von versammelten Menschen an der Leipziger Nikolaikirche.
»Mich würde brennend interessieren, wer das ist auf den Fotos. Vielleicht erkennt sich ja jemand«, sagt er heute. Darum auch die Veröffentlichung der Bilddokumente. Denn der gebürtige Leipziger Jahrgang 1967 hat nicht irgendwelche Szenen eingefangen. Er hat im eigenen Auftrag auf den Auslöser gedrückt, als die Revolution zwar in vollem Gange war, das aber in der Tragweite niemand wusste. Auch nicht, was da noch kippen könnte.
Zur Erinnerung: Plauen als Vorreiter in der DDR sollte sich am Abend auf die Straße begeben und dort feststellen, dass Vertreter des Staates und eben die Bürger miteinander reden können, in Dialog treten, so das Zauberwort der Tage. Auch Ostberlin sollte erst am Abend des 7. Oktober seine Schlüsselerfahrungen machen; wo Tausende an den Palast der Republik zogen, um den Offiziellen die Staatsfeier zu verderben. In Dresden wiederum sollte sich die Lage erst am 8. Oktober mit der Gründung der »Gruppe der 20« wenden. Und der berühmte Marsch um den Ring in Leipzig fand bekanntermaßen erst am 9. Oktober des Jahres statt.
Am 7. Oktober in Leipzig auf die Straße zu gehen, zumal rund um die Nikolaikirche, am Nikolaikirchhof, wo die Bilder entstanden, war durchaus gefährlich.
Erst recht gefährlich war es, wenn man, wie Bischoff, bei der Armee ist und die Staatsmacht einem eh schon misstraut: Gerade erst im Sommer ’89 hatte es gegen ihn ein Verfahren wegen des Verdachts auf Fahnen- und Republikflucht gegeben. Wegen Dusseligkeit, wollte er sich doch in Budapest mit einem Kumpel aus Wien treffen; aber letztlich auch falsche Verdächtigungen – die ihm trotzdem ein paar Tage Haft einbrachten.
Eine Vorgeschichte also, mit der es gewagt ist, so ganz in Zivil in der City unterwegs zu sein, in der einerseits der Republikgeburtstag mit einem Stadtfest gefeiert wird, in der andererseits aber ein Teil der Bevölkerung aufbegehrt.
»Ich hatte seit langer Zeit mal wieder Urlaub, war zu dem Zeitpunkt noch technischer Unteroffizier beim Jagdfliegergeschwader 9 in Peenemünde.«
Nun jedoch, Anfang Oktober, war er als Teilrehabilitierter auf einen Wochenendurlaub entlassen. »Ich erinnere mich, dass ich zuerst in Gohlis zu Bäcker Schladitz ging, wo mir ein Schulfreund flüsterte, ich solle am 7. und am 9. Oktober auf keinen Fall in die Stadt gehen. Da würde geschossen! Das hat es für mich einfach interessant gemacht. Ich schnappte mir am Samstag die Kamera und guckte am Nikolaikirchhof vorbei. Und ehe ich mich’s versah, war ich dort in einem Kessel.« Noch genau erinnerte er sich an die Fenster der Kirche, an denen Blumen und Fürbitten für Inhaftierte angebracht waren.
»Überall Bereitschaftspolizei. Ich fand das irgendwie spannend, auch wenn man jetzt erst weiß, was für historische Tage das waren.« Gleichwohl habe es da schon so ein Bauchgefühl gegeben, »dass es jetzt etwas Besonderes sein könnte«. Aber konnte er denn einfach so fotografieren? »Möglicherweise war es so, dass die einen dachten, ich gehöre zu den anderen, und die anderen dachten, ich gehöre zu den einen.« Anfangs fotografierte er eher noch ziel- und planlos. Nahm die Kamera aber auch immer schnell wieder an den Körper. Bald ergab sich sogar ein Schlupfloch Richtung Grimmaische Straße. »Das war dann aber wirklich höchste Eisenbahn: Die Ansammlung wurde aufgelöst. Die Leute sind ins Rennen gekommen, die Polizei ist hinterher mit Schildern und Knüppeln.« Er selbst hatte Glück: »Es ist rechts und links an mir vorbeigerannt worden.« Der Rest ist Geschichte.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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