Gebot der Stunde
Kirche und Flucht: Landesbischof Tobias Bilz und Diakonie-Direktor Dietrich Bauer haben die gegenwärtige sächsische Abschiebepraxis heftig kritisiert. In Leipzig bemüht sich die Evangelische Studierendengemeinde um einen humanen Umgang mit Geflüchteten. Für ihren Kirchenasyl-Einsatz erhielt sie den Evangelischen Friedenspreis 2020. Ein Zwischenruf aus gegebenem Anlass.Kirchenasyle kommen durch Anfrage zustande. Menschen, die nach Asyl fragen, sind verzweifelt, haben große Angst und sehen oft keine andere Alternative. Sie wollen unter keinen Umständen abgeschoben werden. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig. Obwohl es individuelle Interviews im Asylverfahren gibt, wird in manchen Fällen dann doch sehr prinzipiell entschieden. Das Kirchenasyl versucht dann, eine Abschiebung aufzuschieben oder zu verhindern, so dass die individuellen Gründe ausreichend geprüft und berücksichtigt werden können.
Politischerseits ist es in Sachsen offensichtlich so, dass die Ermessensspielräume bei der Behandlung eines Asylgesuches bzw. zur Gewährung einer Aufenthaltsgenehmigung kaum zugunsten der Asylsuchenden oder des gesunden Menschenverstandes ausgereizt werden. Dies erweckt letztlich doch den Anschein von Willkür oder Symbolpolitik, welches beides im Umgang mit Menschen und deren Schicksal absolut fehl am Platz ist.
Ich persönlich habe Erfahrungen mit zwei Kirchenasylen. Zum einen in meiner vorherigen Kirchgemeinde in Limbach-Oberfrohna, wo wir als Kirchgemeinde mehrere junge Männer aus Eritrea ins Kirchenasyl genommen haben. Diese haben zur Zeit eine Aufenthaltserlaubnis. In der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) Leipzig habe ich 2019 ein Kirchenasyl »übernommen«. Bei der jungen Frau aus Tunesien ist leider vergangene Woche ein Abschiebeversuch unternommen worden. Gott sei Dank befand sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht in der Flüchtlingsunterkunft. Trotz vieler Gründe, die bei ihr für eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland unseres Erachtens sprechen, waren bis jetzt alle rechtlichen Schritte erfolglos. Die junge Frau war über zwei Jahre im Kirchenasyl. Ein viel zu langer Zeitraum. Doch zur Zeit sieht es so aus, als ob alles keinen Erfolg hatte. Das ist sehr frustrierend. Wir bangen zur Zeit und versuchen, diesen Fall als letzte Möglichkeit von der Härtefallkommission begutachten und entscheiden zu lassen und hoffen, dass die junge Frau bis dahin nicht abgeschoben wird.
Wenn man Menschen persönlich kennenlernt und begleitet, bekommt man ein ganz gutes Bild, wie gut integriert und integrationswillig diese sind. Wenn dann nach mehreren Jahren Leben und Integrationsanstrengung in Deutschland eine Abschiebung erfolgen soll – ohne Perspektiven im Herkunftsland und meist unter erheblichen Gefahren –, ist das nicht nachvollziehbar.
Die Kirchenasyle, die ich erlebt habe, versuchen einen gewissen Zeitraum zu überbrücken, um eine erneute, angemessenere Prüfung des Falles zu ermöglichen. Manchmal versuchen sie, die sogenannte »Dublinfrist« von 6 Monaten zu überbrücken, nach der dann Deutschland für den Asylantrag zuständig ist. Nach meiner Erfahrung dauern die Kirchenasyle aber länger – 12 oder sogar 18 Monate. Solche Zeiträume lassen sich nur durchhalten, wenn die gesamte Gemeinde und auch die Landeskirche die Kirchenasyle unterstützen. In Limbach-Oberfrohna und in der ESG hat das sehr gut funktioniert. Viele Gemeindeglieder haben sich persönlich durch Besuche und Hilfsangebote (Deutschunterricht, Freizeitangebote, gemeinsames Kochen) eingebracht. Auch die junge Frau, die wir im letzten Kirchenasyl hatten, ist auf diese Weise ein richtiges Gemeindeglied geworden, hat sich eingebracht und ein Zuhause gefunden.
Zurzeit gibt es in der ESG kein aktives Kirchenasyl, aber eine Anfrage, eines jungen Mannes aus Syrien, die wir sehr sorgfältig prüfen. Zugleich versuchen wir, einen Menschen, der um Asyl und Hilfe bittet, zu begleiten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Dabei ist ein Kirchenasyl immer eine letzte Möglichkeit. Aber solange Menschen nach Asyl fragen und um Hilfe bei Kirchgemeinden bitten, besteht der Bedarf. Wir sind uns, aus den Erfahrungen mit Kirchenasyl, des Kraftaufwandes und der beschränkten Erfolgsaussichten bewusst. Dennoch ist es uns wichtig zu helfen und den einzelnen Menschen im Blick zu behalten. Das Preisgeld des Evangelischen Friedenspreises 2020 für unser Engagement im Bereich Kirchenasyl möchten wir für die Arbeit mit Geflüchteten verwenden, eventuell auch für zukünftige Kirchenasyle.
Das Engagement von Kirchgemeinden für Kirchenasyle sollte nicht kriminalisiert werden. Denn Kirchenasyle leisten auch wertvolle Integrationsarbeit. Es entstehen Beziehungen, man lernt voneinander. Ganz konkret wurde in den Kirchenasylen, die ich erlebt habe, zum Beispiel regelmäßiger Deutschunterricht angeboten. Immer wieder kommt es auch zum Austausch über Leben, Kultur, Wertvorstellung, Rollenbilder. Menschen werden in konkrete Gemeinschaften, wie zum Beispiel Kirchgemeinden oder Familien integriert. Wir erleben die Anwesenheit der Gäste und den Austausch über Herkunft, andere Lebensgeschichten und kulturelle Prägungen als vielfältige Bereicherung und Horizonterweiterung.
Ich wünsche mir, dass die Geschichte einzelner Menschen in den Entscheidungen über Aufenthaltserlaubnisse in den Asylverfahren besser berücksichtigt werden. Außerdem sollten gute Integration und bereits existierende Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse berücksichtigt werden und dann keine Abschiebungen mehr vollzogen werden. Hilfreich und wichtig wäre es meines Erachtens außerdem, wenn Geflüchtete oder Asylsuchende schneller die Erlaubnis zu legaler Arbeit bekommen würden. Auch bei angeblich straffällig gewordenen Menschen sollte man unterscheiden, um welche Art von Delikten es sich handelt. Ist z.B. Schwarzfahren ein Abschiebungsgrund?
Die Kirche sollte sich weiterhin in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren. In unseren Gemeinden haben wir in den Fällen unseres Kirchenasyls immer wieder Matthäus 25,31-46 als Gebot der Stunde gehört: »Jesus spricht: Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.«
Markus Franz ist Hochschul- und Studierendenpfarrer der ESG Leipzig.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.