Lachen lernen
Humor im Christentum: Christen, besonders evangelische, gelten oft als humorlos. Vielleicht sind sie es auch. Na und? Wir sollten endlich dazu stehen – und auch mal über uns selbst lachen.In Umberto Ecos berühmtem Mittelalterkrimi »Der Name der Rose« hält der alte Jorge von Burgos ein Exemplar des zweiten Bandes von Aristoteles’ »Poetik« im Giftschrank seiner Klosterbibliothek versteckt. Unter keinen Umständen soll das Werk an die Öffentlichkeit gelangen. Warum nicht? Aristoteles behandelt darin die Komödie und äußert sich positiv über das Lachen. Das hält Jorge für brandgefährlich. Denn das Lachen nimmt die Angst. Wer aber keine Angst mehr hat, gehorcht nicht mehr. Mit der Macht der Kirche wäre es alsbald vorbei. Mit einem Wort: Das Lachen stellt eine Bedrohung der weltlichen und göttlichen Ordnung dar. Außerdem meint Jorge: »Unser Herr Jesus Christus bedurfte nicht solcher Narreteien, um uns den rechten Weg zu zeigen. Nichts in seinen Gleichnissen reizt uns zum Lachen.«
Hat der blinde Bibliothekar nicht Recht? Tatsächlich wird in den Evangelien nirgends ausdrücklich erwähnt, dass Jesus gelacht hat. Sehr wohl aber, dass er an der einen oder anderen Festivität teilgenommen hat – zum Beispiel an der Hochzeit zu Kana, bei der er auch noch die Alkoholversorgung sichert, indem er Wasser in Wein verwandelt. Ist es wahrscheinlich, dass Jesus auf der Hochzeit überhaupt nicht gelacht hat? Oder als er bei dem Zöllner Zachäus einkehrte? Und Jesu Gleichnisse und Aussprüche sind, anders als Jorge glaubt, durchaus von Humor geprägt: »Oder wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen? Und siehe, ein Balken ist in deinem Auge.« (Matthäus 7,4). Jesus benutzt hier das rhetorische Mittel der Übertreibung. Auch greift er oft zu Ironie und sogar Sarkasmus. In seinem Buch »Der lachende Christus« (2005) hat der kürzlich verstorbene Wiener Theologe Adolf Holl zahlreiche Beispiele für Humor im Neuen Testament gefunden. Jesus hatte also sehr wahrscheinlich Humor. Aber zugegeben: Um ihn sichtbar zu machen, ist bisweilen ein gewisser exegetischer Aufwand nötig.
Abgesehen davon haben miesepetrige Heilige und Theologen jahrhundertelang gegen den Humor und das Lachen angepredigt. Begründet hat die christliche Humorfeindlichkeit der bedeutende Prediger und Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos (»Goldmund«), der im 4. Jahrhundert gelebt hat: Jesus habe nie gelacht. Das Lachen töte die Angst – und ohne Angst kein Glaube. Eco hat seinem Jorge von Burgos so ziemlich eins zu eins Chrysostomos’ Thesen in den Mund gelegt. Natürlich hat sich die Humorfeindlichkeit nie vollkommen durchgesetzt. Immer schon hat es heilige Narren und witzige Prediger gegeben. In Ecos Roman führt der Franziskaner William von Baskerville gegen den Benediktiner Jorge Argumente für das Lachen ins Feld. Gleichwohl hat das Ressentiment gegen den Humor und das Lachen dem Christentum seinen Stempel aufgedrückt.
In anderen Religionen ist das anders: Die griechischen Götter sind noch in »homerisches Gelächter« ausgebrochen. Das Judentum, in dem immerhin die Ursprünge des Christentums liegen, hätte womöglich ohne Humor nicht bis heute überlebt. Und sogar der Islam, der nicht bekannt dafür ist, in Glaubensdingen besonders viel Spaß zu verstehen, kann einige Überlieferungen aufweisen, nach denen der Prophet auch einmal einen Scherz gemacht hat. Und schließlich war unser Martin Luther ein begnadeter Spötter, der seine Feinde mit allen Mitteln ins Lächerliche gezogen hat – auch und vor allem dem ärgsten Feind: »Wenn ich den Teufel nicht mit ernsten Worten und mit der Schrift in die Flucht schlagen konnte«, sagte er einmal, »habe ich ihn oft verjagt durch Possenreißerei.«
Aber was nützt uns das? Gerade wir evangelischen Christen leiden oft unter unserer Humorlosigkeit. Wir beneiden die Schwestern und Brüder aus Afrika um die Fröhlichkeit, mit der sie den Gottesdienst begehen oder die Katholiken, die ausgelassen Karneval feiern. Wir unternehmen alles Mögliche, um unsere ererbte Ernsthaftigkeit loszuwerden: Da erzählen Pfarrerinnen und Pfarrer in der Osternacht auf der Kanzel Witze. Da tritt auf einem Workshop ein professioneller Clown auf, um kirchliche Mitarbeiter den Narren in sich selbst entdecken zu lassen. Machen wir uns nichts vor: Oft erwecken solche humorigen Predigten kein Osterlachen, sondern eher Mitleid. Und wer sich eine rote Clownsnase aufsetzt, macht sich vielleicht zum Narren, aber komisch ist das nicht unbedingt. Denn Humor lässt sich nun einmal nicht erzwingen, und nicht jeder hat Neigung oder Begabung dazu.
Es ist schon widersprüchlich: Einerseits haben wir Christen allen Grund zur Freude. Die Gewissheit, dass Jesus den Tod überwunden hat, ist doch wahrlich ein Anlass, fröhlich zu sein. Andererseits: Dass Humor im Christentum so eine untergeordnete Rolle spielt, ist gewiss kein Zufall. Das Symbol unseres Glaubens ist nun einmal das Kreuz und kein lächelnder Buddha.
Was tun? Gar nichts! Wir sollten zu unserem traditionellen Humordefizit stehen. Das ist der einzige Weg – zum Humor. Denn von der Selbsterkenntnis ist es kein weiter Weg zur Selbstironie. Erst wenn wir unsere Unzulänglichkeiten und Mängel erkennen und annehmen, können wir über uns selbst lachen. Und es wird ein ungezwungenes, ein befreites Lachen sein.
Dieser Artikel erschien im DER SONNTAG, Nr. 07 | 16.2.2020. Möchten Sie mehr lesen? Alle Sonntagsthemen finden Sie bequem in unserem Abo. Ob gedruckt oder digital – Verpassen Sie keinen Artikel mehr. Bestellen Sie jetzt unter: https://www.sonntag-sachsen.de/aboservice
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