Mieterbund fordert Stopp von Zwangsräumungen in der Pandemie
Sie sind in der Corona-Pandemie wichtiger denn je: die eigenen vier Wände. Im vergangenen Frühjahr verzichteten Gerichtsvollzieher weitestgehend auf Zwangsräumungen. Das hat sich offenbar wieder geändert. Der Mieterbund ist empört.Erst im letzten Moment hatte die Beschwerde Erfolg: Die Zwangsräumung einer alleinerziehenden Frau mit zwei Kindern sei ein Härtefall, entschied das Landgericht Dresden im Januar und korrigierte damit die Vorinstanz. "Das war ein Tag vor dem Räumungstermin", sagt Rechtsanwalt Torsten Hübner, der den Beschluss erstritten hat.
Eine Beratungsstelle hatte die junge Mutter vergangenes Jahr zu ihm geschickt. Eigentlich schien die Räumungsklage abgewendet, sagt der Anwalt. Die Frau habe ihre Mietschulden mit Hilfe des Jobcenters vollständig beglichen. Doch eine Betriebskosten-Nachzahlung wurde ihr beinahe zum Verhängnis: "Die hat das Amt erst Monate später überwiesen - rechtlich korrekt, aber gegen die Vereinbarung, die ich mit dem Vermieter getroffen hatte."
Wie vielen Menschen im Jahr der Corona-Pandemie bundesweit eine Zwangsräumung drohte und wie viele in der Folge ihre Wohnung verloren, ist nicht bekannt. Dem Bundesjustizministerium liegen für 2020 noch keine Zahlen vor. Und auch die meisten Bundesländer haben frühestens Ende März Daten parat, wie Anfragen des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergaben.
Im vergangenen Frühjahr hatte der Gesetzgeber Kündigungen aufgrund Corona-bedingter Mietschulden vorübergehend bis zum 30. Juni 2020 verboten. Zudem verzichteten die Gerichtsvollzieher bundesweit weitestgehend auf Zwangsräumungen. Wo Zahlen vorliegen, dokumentieren sie das, was viele Justizministerien erklären: Seit dem dritten Quartal wird wieder zwangsgeräumt, wenn auch unter Beachtung des Infektionsschutzes. So verloren allein in Hamburg im vergangenen Jahr 977 Haushalte ihre Wohnung durch eine Räumung. Zahlen für das Jahr 2020 konnten bis Ende Februar außerdem das Saarland (344 geräumte Wohnungen) und Brandenburg vorlegen. Dort wurden 1.267 Fälle gezählt, allerdings inklusive der Räumungen von Gewerbeobjekten.
Besseres Datenmaterial wäre "wünschenswert", sagt Melanie Weber-Moritz, Direktorin des Deutschen Mieterbundes. Der Dachverband von rund 300 Mietervereinen fordert die erneute Aussetzung von Zwangsräumungen wie im vergangenen Jahr, ebenso ein Kündigungsmoratorium für die gesamte Zeit der Pandemie: "Die Wohnung ist im Moment der wichtigste Ort. Dieser Ort muss sicher sein."
Zwar registrieren die Mieterschützer bei ihren Mitgliedern bislang noch keine steigende Zahl an Wohnungskündigungen. Doch seien Zahlungsschwierigkeiten infolge von Corona bei jeder zehnten Beratung ein Thema – bundesweit rund 10.000 Fälle pro Monat. "Wenn Millionen Menschen von Kurzarbeit und Einkommenseinbußen betroffen sind, ist der Druck hoch", sagt Weber-Moritz.
Einen Vorstoß der Linksfraktion im Bundestag, Zwangsräumungen in der Corona-Krise per Gesetz zu verbieten, lehnten alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien außer den Grünen im Januar ab. Auch das Bundesjustizministerium sieht keinen Handlungsbedarf. Aktuell seien "keine gravierenden Mietausfälle im Bereich der Wohnraummiete bekanntgeworden", sagte ein Sprecher dem epd.
Die kommunalen Behörden in Berlin schätzen die Lage anders ein: In einem Schreiben vom 11. Januar habe die Sozialverwaltung darum gebeten, "den Gerichten zu empfehlen, Räumungsvollstreckungen auszusetzen", sagte ein Sprecher der Justizverwaltung. In der Folge habe sich die Tätigkeit der Gerichtsvollzieher "stark reduziert". Der Sprecher der Berliner Zivilgerichte erklärte, es sei davon auszugehen, dass die Gerichtsvollzieher und die Gerichte "mit der Problematik wie schon im ersten Lockdown verantwortungsvoll und sensibel umgehen". An belastbaren Daten fehlt es aber auch hier: Zahlen für das vierte Quartal 2020 lägen ebenso wenig vor wie für den Januar.
In Dresden ist der Trend deutlich: 451 Wohnungen wurden hier 2020 zwangsgeräumt – 60 mehr als 2019 und 121 mehr als 2018, teilte die Stadtverwaltung mit: "Die erhöhte Anzahl ist auch der Corona-Situation geschuldet."
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