Gott in Geschichten
Geschichten: Lange Abende und Kerzenschein – eigentlich wäre im Advent viel Zeit zum Erzählen. Doch wer tut es noch? Gott jedenfalls hat sich in Geschichten offenbart. Und das ist kein Zufall.Die Sache war theologisch brisant. Jesus war von den Schriftgelehrten hart angegangen worden: »Der nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.« Jesus hätte jetzt mit ein paar theologischen Formeln kontern können, mit gestanzter Dogmatik, Gelehrsamkeitsgeklingel.
Doch er beginnt, wie nebenbei eine Geschichte zu erzählen: »Ein Mensch hatte zwei Söhne.« Und der eine Sohn wollte sein Erbe und zog in die Ferne. »Und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.« Gepackt. Eine journalistische Erzählregel lautet: Beginne mit einem Erdbeben und dann langsam steigern. Jesus hat das schon vor 2000 Jahren gewusst.
Erzählt heute noch jemand? Gerade einmal zwei Minuten pro Tag nehmen sich deutsche Paare mit Kindern im Durchschnitt für das Geschichten Erzählen und Vorlesen, hat das Statistische Bundesamt herausgefunden – für Fernsehen, Computer und Handy sind es durchschnittlich zwei Stunden. Und moderne Kirchenmitarbeiter setzen auf moderne Methoden. Einer erzählt und alle hören zu – das klingt irgendwie nach 1970. Oder noch früher.
Die Bibel aber ist randvoll mit Geschichten. Von Königen und Räubern, Ehebrechern und Eiferern, von gottesfürchtigen Frauen und Götzendienerinnen. Das ganze Panorama des Menschen. Und Gott will, dass diese Geschichten erzählt werden. Es begann mit der großen jüdischen Befreiungserzählung: »So sollst du deinem Sohn sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand« (5. Mose 6, 21). Und es endete nicht mit den Geschichten von und über Jesus. Erst gut zwei Jahrzehnte nach seinem Tod und seiner Auferstehung begannen die Erzählungen bei Paulus zu dogmatischen Sätzen zu gerinnen.
Theologie muss die dogmatischen Großbegriffe zerbrechen und wieder erzählen, forderte die Leipziger Theologieprofessorin Gunda Schneider-Flume. Denn Gott hat sich in Geschichten verstrickt. In die biblischen, aber auch in heutige Geschichten.
Anders als Dogmen mit klaren Kanten sind Geschichten krumm und verwickelt. Sie schillern. Sie sind offen für all das zwischen Gut und Böse Schillernde des Menschen. Und für die Barmherzigkeit Gottes, der nicht mit dem Lineal vermisst.
Das Erzählen von Geschichten kann schon Kindern viel mitgeben, haben Psychologen herausgefunden. Sie lernen in ihnen neue Welten kennen, fühlen sich in Fremdes ein, entwickeln beim Hören ihre Sprache. Und Neurowissenschaftler sind überzeugt: Wenn Eltern ihren Kindern erzählen, verbinden diese auch später Geschichten mit einem Gefühl der Liebe.
»Wenn ich anfange zu erzählen, merke ich, dass bei den Zuhörern ein Kopf-Kino beginnt«, sagt Martin Steinhäuser, der als Professor an der Evangelischen Hochschule Moritzburg Gemeindepädagogen ausbildet. »Die Menschen leben und sterben mit erzählten Sätzen – nicht mit Lehrsätzen. Das ist einer der Gründe, warum die Bibel so viel erzählt.«
Deshalb bildet der Professor die zukünftigen Gemeindepädagogen im Erzählen aus und lässt es sie in der Praxis erproben. »Erzählen kann jeder«, sagt Martin Steinhäuser. Aber natürlich gebe es ein paar handwerkliche Regeln: Man nehme ein oder zwei Hauptpersonen, male den Hintergrund aus Ort und Zeit farbig aus, schaffe einen Spannungsbogen. Dann eine überraschende Wendung. Und ein rascher Schluss.
Jesus schließt die Geschichte vom verlorenen Sohn mit den lakonischen Worten: »Er war verloren und ist wiedergefunden.« Ob es so bleibt? Ob der neidische Bruder sich davon besänftigen lässt? Jesus lässt es offen. Und provoziert zum Weiterdenken, zum Weitererzählen. Martin Steinhäuser würde sagen: Genau so muss eine gute Geschichte enden.
Impressionen Frühjahrssynode 2024
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.